Das Unrecht des Stärkeren

Eine Frau steht vor einem Denkmal, das die Form von China und Taiwan hat.
Ist es klug, sich mit Supermächten wie Russland und China anzulegen, von deren Gnade unser Wohl und Wehe abhängt? Die Frage ist falsch gestellt.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Mit den kühleren Nächten des beginnenden Spätsommers dämmert’s langsam: Weniger heizen und warm duschen im Herbst und Winter kann ungemütlich werden. Von höheren Preisen und Mangel an manchem, den wir jetzt schon merken, nicht zu reden – danke, Wladimir Putin, bis vor Kurzem noch gefeierter Partner der österreichischen Wirtschafts- und Politik-Elite.

Nur: Das ist ein Lercherl gegen das, was droht, wenn China Taiwan heim ins Reich holt – und der Westen auch noch mit China bös’ ist. Die jetzt schon holprigen Lieferketten von Ost nach West, die in China zurückgehaltenen Motorteile, seltenen Erden, Textilien, die in Taiwan festsitzenden Chips (zwei Drittel des Weltbedarfs für Autos, Handys, Computer) – aus keinem Land der Welt importiert die EU mehr Waren als aus China (22 Prozent). Da würden wir uns wünschen, nur lau duschen zu müssen.

Ist es also klug, sich gleich mit zwei Supermächten anzulegen, von deren Gnade unser Wohl und Wehe abhängt, wird nun gerne gefragt? Kann man nicht Russland und China einfach tun lassen?

Die Frager werden nicht einmal rot. Und die Frage ist falsch gestellt. Nicht der Westen legt sich mit Russland und China an, daran ändert auch der wenig schlaue Besuch der US-Demokratin Pelosi in Taipeh nichts. Es sind die Machthaber in Moskau und Peking, die alle Konventionen, die der Westen sich für eine bessere Welt ausgedacht hat, über den Haufen werfen – weil sie für sie nie galten. Das hätte man lange sehen können. Dass sich Wladimir Putin darauf vorbereitet, Geschichte umzuschreiben, Europa zu demütigen und Russlands Erde heimzuholen, weiß man spätestens seit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Dass China nicht erst seit Xi Jinping rücksichtslose koloniale Expansion in Afrika, Europa, Lateinamerika betreibt, Gegner verfolgt und Taiwan schnupfen will, ist auch bekannt.

Dennoch hat sich der Westen in seiner Gier nach billigen Waren und einem riesigen Absatzmarkt (China) sowie billiger Energie (Russland) den beiden Riesen an die Brust geworfen. Bis zuletzt. „Wie kommen wir von China los?“ fragt Die Zeit stellvertretend für Europa. Die Frage kommt spät.

Langsam dämmert uns, dass der aufgeklärte Westen die moralische Deutungshoheit über die Welt beanspruchen mag – aber siegen tut das Unrecht des Stärkeren. Der Traum von der globalen Vernetzung und ihren Chancen zerbröselt gerade. Die funktioniert nur, solange alle Beteiligten das Gleiche wollen. Jetzt wird der Traum zum Alb. Darum wäre nichts drängender, als sich aus der Abhängigkeit von zweien, mit denen kein Staat, sprich: keine gemeinsame Welt zu machen ist, zu befreien. Das dauert, das schmerzt, das wird andere Abhängigkeiten schaffen. Die von China und Russland aber ist die fatalste.

Porträt eines Mannes mit Brille und blauem Sakko vor dem Schriftzug „Kurier Kommentar“.

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