Sollen die Salzburger Festspiele stattfinden?
Das renommierte Musik- und Theaterfestival an der Salzach feiert 100-jähriges Jubiläum. Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler kämpft gegen die Absage. Epidemiologin Eva Schernhammer (MedUni Wien) hält dagegen.
PRO: Kunst ist keine bloße Dekoration
"Die Kunst ist ein Lebensmittel", davon war Max Reinhardt bei der Gründung die Salzburger Festspiele 1920 fest überzeugt – nicht, obwohl die Zeiten so schlecht waren, sondern, weil sie so schlecht waren. Die Kunst stiftet Sinn für den Einzelnen, Kunst und Kultur geben aber auch ganzen Völkern Selbstbewusstsein und Identität. Diese wunderbare Erfahrung machten die Österreicher nach dem 1. Weltkrieg und nochmals vor 75 Jahren. General Clark, Chef der US-Besatzungsmacht, zwang die Salzburger förmlich, bereits vier Monate nach Kriegsende wieder Festspiele abzuhalten – weil dies "ein Beweis dafür ist, dass die gemeinsame Arbeit ..., ein freies unabhängiges Österreich wiederherzustellen, bald glücken wird".
Diesem Glauben an die Kraft der Kunst in düsteren Zeiten verdanken die Festspiele ihre Existenz. Ich käme mir wie eine Verräterin vor, würde ich nicht für die Abhaltung auch in Corona-Zeiten kämpfen. Wenn aber Virologen und Politik zur Meinung kommen, dass die Gesundheit weiter die Absage aller Veranstaltungen erfordert, hat selbstverständlich auch für uns die Sicherheit Priorität.
Ich kämpfe für alle, die Kunst herstellen. Leider habe ich aber zunehmend den Eindruck, dass viele Politiker – gleich welcher Couleur – in der Kunst bloße Dekoration sehen. Während zurecht Bemühungen laufen, um Fitnesscenter und Fußballplätze zu öffnen, scheint ein Sommer ohne Kulturveranstaltungen nur Wenige zu besorgen. Die Stimmung im Land ist allerdings eine andere. Wie schrieb mir jüngst eine Dame aus Oberösterreich: "Ich brauche keinen Baumarkt, ich brauche die Festspiele." Weil Kunst ein Lebensmittel ist und keine Deko.
Helga Rabl-Stadler ist Präsidentin der Salzburger Festspiele
CONTRA: Erinnerungen an Ischgl werden wach
Wichtige Fragen sind offen: Wird die Ausbreitung des Coronavirus in den Sommermonaten nachlassen? Werden Lockerungsmaßnahmen wie Vollbetrieb, Schul- oder Grenzöffnungen das Wiederaufflammen der Pandemie begünstigen? Schlimmstenfalls kann jede dieser offenen Fragen dazu beitragen, die Replikationszahl rasch wieder über eins heben. Derzeit ist nur Fahren auf kurze Sicht möglich.
Viele der vorwiegend älteren Besucher der Salzburger Festspiele gehören zudem zu den Corona-Risikogruppen. Das Festival birgt eine gefährliche Mischung: Mögliche "Super-spreader" mit vielen Kontakten (Politiker oder Promis) treffen hier auf eine verletzliche Gruppe.
Es empfiehlt sich auch, ein Worst-Case-Szenario in die Betrachtung mit einzubeziehen: Über 60 Prozent der Festspiel-Besucher kommen aus Deutschland und anderen Ländern. Das weckt Erinnerungen: Es liegt der Ischgl-Vergleich nahe und damit stünde schlimmstenfalls eine Sammelklage im Raum.
Derzeit ist es generell zu gefährlich, Großveranstaltungen zu genehmigen, da dies das Ausbreitungsrisiko auf einen Schlag drastisch erhöhen würde. Was wäre also mit anderen abgesagten Großveranstaltungen im Sommer, zum Beispiel Sportveranstaltungen, jungen Kulturveranstaltungen wie dem Nova Rock? Selbst unter Einhaltung gewisser Sicherheitsszenarien wäre die Abhaltung der Festspiele schwer zu erklären.
Unverständnis riefe das insbesondere bei den Jüngeren hervor, die die Coronamaßnahmen einhalten, um die Älteren zu schützen und dafür im Sommer auf ihre Sportveranstaltungen und Festivals verzichten.
Eva Schernhammer ist Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der MedUni Wien.
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