Tagebuch aus Baku

Eine Karte vom Marriott-Hotel Baku, die ein zusammengefaltetes Putztuch fürs "neue" iPad enthält - präsentiert von den Vorjahrsgewinnern Ell & Nikki.
Anna Gasteiger am Weg nach Baku: Das Song-Contest-Abenteuer beginnt schon am Fluhafen.

Das Song-Contest-Abenteuer beginnt schon am Wiener Flughafen: Zwei (nicht mehr ganz junge) Frauen mit Plastikkrönchen am Kopf und Jedward-T-Shirts warten ebenfalls auf den Flieger nach Baku. Ein kleiner Vorgeschmack auf die vielen schrägen Fans, die oft Urlaub und Unkosten in Kauf nehmen, um beim Song Contest teilzunehmen. Knapp vier Stunden fliegt man von Wien nach Baku. Ein Katzensprung eigentlich; dafür, wie exotisch sich Aserbaidschan anhört. Kaukasus, Öl, Meer. Was ist das eigentlich für ein Land?

Der erste Gruß wartet auf dem Flugzeugsitz. Eine Karte vom Marriott-Hotel Baku, die ein zusammengefaltetes Putztuch enthält: "For your new iPad" steht drauf. Man geht also nicht nur davon aus, dass die Fluggäste ein iPad haben, sondern dass sie ein NEUES iPad haben. In einem aufwendigen Hochglanzmagazin, das ebenfalls im Flugzeug aufliegt, wird das Tourismusland Aserbaischan in den leuchtendsten Farben beschrieben. Man bekommt immerhin ein Gefühl für die Klischees: Teppiche, Kunsthandwerk. Auf mehreren Seiten die Beschreibung eines leicht größenwahnsinnig anmutendes Stadtentwicklungsprojekts. (Die Argumentation ist interessant: Studien hätten ergeben, dass sich Menschen in alten, verwinkelten Gegenden weniger bewegen, als in rechtwinkeligen Blocks, und sie deswegen eher zu Übergewicht neigen. Häuser abreißen ist also gut für die Volksgesundheit.)

Das ist die eine Seite, die Hochglanzfassade, an der die aserbaidschanische Regierung ein Jahr arbeiten konnte. Auf der anderen Seite stehen Berichte von Menschenrechtsverletzungen, eingeschränkter Pressefreiheit, Zwangsumsiedelungen etc. Regierungskritiker bemühen sich seit Monaten, das Beste daraus zu machen: die (westlichen) Medien sind voll mit kritischen Berichten. Der durchschnittliche Song-Contest-Berichterstatter wird dazu aber eher nicht viel beitragen. Er verbringt den ganzen Tag (und die halbe Nacht) im Pressezentrum, schlurft mit einer Eurovision-Umhängetasche über der Schulter von einer Pressekonferenz zur nächsten und fachsimpelt mit den Kollegen über die Chancen der diversen Beiträge.

Der Song Contest, das wird noch ausführlicher zu beschreiben sein, ist nämlich eine Parallelwelt, in der diese Dinge WIRKLICH wichtig scheinen. Sie saugt einen ein, spuckt einen am Ende der Woche (Sonntag, Kater) wieder aus - und hinterlässt ein großes Fragezeichen. Was hab ich mir die ganze Zeit gedacht? Was hab ich die ganze Zeit gemacht? Eineinhalb Stunden noch, bis der Flieger landet und der ganze Wahnsinn beginnt. Obwohl, wir sind schon mittendrin. Am Nebensitz sitzt ein allein reisender älterer Herr. Dunkle Hose, dezent gestreiftes Hemd, seriöser Kurzhaarschnitt. Ein Geschäftsreisender? Nein. Er fährt - privat und freiwillig - zum Song Contest. Nach eigenen Angaben bereits zum 7. Mal.

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