Sylt: Das Klischee hält mehr, als es verspricht

- Sylt ist eine vielfältige Insel mit bekannten Sehenswürdigkeiten und einem ebenso reichen Hinterland, das oft übersehen wird.
- Die Insel bietet zahlreiche Freizeitmöglichkeiten wie Radfahren und Wattwandern
- Sylt vereint Luxus und Ursprünglichkeit
Im Prinzip ist man schnell um die Insel herum. Mit dem Auto kann man die Sehenswürdigkeiten der Hundert-Quadratkilometer-Insel Sylt gemütlich an einem Tag abfahren. Dabei die wichtigsten Fotos machen und einkehren, um die berühmten Sylter Austern oder Muscheln zu kosten, eine Brise Nordseeluft nehmen und irgendwo die Füße in den malerischen Sand des durchgehenden Vierzig-Kilometer-Weststrandes graben. Das berühmte Watt kann man an dem Tag auch bewundern.
In einem Tag hat man Sylt gesehen. Aber nicht verstanden.

Wohin sich wenden? Strandkörbe zwischen Morsum-Kliff und der Nordsee.
Denn zwischen dem Ellenbogen (einer Dünen-Landzunge ganz im Norden, zugleich nördlichster Punkt Deutschlands) und der Hörnum-Odde (dem ins Meer verlaufenden Südzipfel von Sylt) wird man während der Rundfahrt ständig durch das gestört, was man „eine Seele“ nennt. Man solle sich einfach treiben lassen, raten die Einheimischen. Aber man bleibt immer hängen, gebannt von Bühnenbild-Szenerien oder den Geschichten der Darsteller.
Insofern trifft es sich gut, dass die Austrian ihren neuen Sylt-Flug nur einmal in der Woche macht, man braucht eh Zeit für die schmale Insel. Bis jetzt war Sylt weit weg, mit dem Auto sowieso, aber sogar wer mit Zug oder Flieger nach Hamburg reiste, hatte dann noch eine gut dreistündige Fahrt vor sich. Seit 28. Juni geht es direkt ab Wien, zumindest diesen Sommer, bei Erfolg soll länger und öfter geflogen werden.
Anreise Im Sommer fliegt austrian.com wöchentlich nach Sylt, CO2-Kompensation rd. 15 €. Oder: Zug nach Hamburg und weiter über Hindenburgdamm nach Sylt. Bus- und Radinfrastruktur sind so gut, dass man auf ein (Miet-)Auto verzichten kann.
Und schon, wenn man aus dem Flughafen im Format eines Provinzbahnhofs tritt, wird klar, dass man seine Klischees aus dem Kopf räumen muss. Nichts deutet zunächst auf deutsche Stars und Sternchen hin, auf gelegentlichen Hollywoodbesuch und Polit-Prominenz, schnöselige Party-Gelage mit problematischen Songtexten. Auch wenn man nach fünf Minuten Fahrt in der einzigen Stadt Westerland ankommt, ist kaum Glamour zu sehen. Aber hier ist das Zentrum, Alltag der Einheimischen sowie Promenade, Fußgängerzone und das Erlebnisbad „Sylter Welle“ für Touristen.
Aber das hat mit der Sylter Seele wenig zu tun.

Fisch-Touristenmekka von Gosch
Kein Meer in Sicht
Die liegt hinter der Stadt, zwischen Dünen. Etwa bei Nord-Sylt, dem größten Dünenbiotop der Insel, das man wie alle anderen nicht wild durchqueren darf. Oder auf dem Weg in den Süden nach Hörnum: Gleich nach dem Ort Rantum, wo die Insel am dünnsten ist, fährt man kilometerlang nur durch das klassische Bild: kleine Hügel mit niederem Bewuchs. Hinter den einen tobt die Nordsee, hinter den anderen ruht das Watt, man riecht das Meer, aber man sieht es nicht.
Übrigens: Man braucht auf Sylt kein Auto.
Alle Strecken lassen sich perfekt mit dem Bus machen. Oder auch mit dem Rad, denn Sylt ist flach. Aber vom Wind gepeitscht, weshalb sich die E-Bikes durchgesetzt haben: Überall kommen sie einem entgegen. Überall sind schöne Radwege. Die vielleicht allerschönsten in Keitum, wo man den alten Dorfcharme am besten erkennt, und rund um das Rantumbecken, gleich südlich von Westerland: auf dem Deich entlang fahrend, den Schafen ausweichend, in die Sonne blinzelnd und dem Fischbrötchen im Rantum Hafen entgegentretend (angeblich das beste der Insel) – was man mit zwei Stunden veranschlagt, dauert vier, fünf ...
Eine Düne, die Uwe heißt
Ähnlich beim Spazierengehen, wie man zum Wandern auf Sylt eigentlich sagen muss. Die höchste Erhebung ist die Uwe-Düne mit zweiundfünfzig Meter Höhe und hundert Holzstufen. Man nimmt sich einen einstündigen Weg vor, aber dann kehrt man hier ein oder kommt dort ins Gespräch ... zum Beispiel mit Werner Mansen. Der ist so etwas wie der Schöpfer des Wattwanderns und kann einem alles über Würmer und Priele erzählen. Oder die Austern-Expertin, die von der urkundlichen Erwähnung im Jahr 1249 weg alle Fakten weiß, die man nie wieder braucht, von denen man in dem Moment, wo man in Gummistiefeln im Watt steht, aber nicht genug bekommen kann.

Wer mit Leidenschaft über Austernbänke referiert, bleibt auf der Insel.
Wandertipp
Besonders bezaubernd ist die einstündige „Wanderung“ von Hörnum Hafen aus um die Odde. Um den Strand ist der Weg klar, führt an den sinnlosen Tetrapoden (siehe links) vorbei. Auf dem Weg zurück kann man sich im Inselinneren auf den kleinen Pfaden super verlaufen: Man landet entweder im kleinen Wäldchen, das gar nicht hierher passt; am Leuchtturm, der sehr gut hierher passt; oder beim Café Lund, wo vor allem der Sauerteig immer passt, aber das Eis auch.
Was ist nun mit Luxus?
Das legendäre Sylt der Reichen und Schönen zentriert sich um Kampen, wo sogar Nobelmarken ihre Shops in reetgedeckten Häusern einrichten. Als die Ampel dort so lange rot zeigt, dass man sich schon fragt, liefert ein Einheimischer Sylter Humor: „Das ist so lange, damit sich die Reichen auch einmal am Tag ärgern müssen.“ In Kampen bedient Sylt das Klischee von Szene-Bars und Promi-Villen am besten – aber nicht nur hier. Die Insel ist randvoll mit Spa-Tempeln in Top-Hotels, mit Golfturnieren und Sterne-Lokalen. Aber eben auch mit dem einfachen Laden „Käseklub“, über den man mit dem Rad stolpert wie über die Strandbuden, von denen das „Sansibar“ am berühmtesten ist, aber das „S-Point“ jedenfalls zu empfehlen. Dort macht der Salzburger Koch Sepp Reisenberger mit Fleisch wirklich alles richtig und diesen Typus trifft man auf Sylt öfter: die Hier-Hängengebliebenen. Das sagt etwas über eine Gegend aus.

Kräuterkönig
Einer der interessantesten von ihnen ist Johannes King. Nein, auch er sei nicht von der Insel, sondern aus dem Schwarzwald. Aber er habe sich in die Insel verliebt und nach einer Spitzenkoch-Karriere nun darauf verlagert, zu kochen „was die Insel hergibt“. Im Garten hinter seinem Lokal erklärt er Kräuter, als ob sie Edelsteine wären: „Das hier, Gundermann, das hat herzhafte Kräuterigkeit. Das Grüne hat nämlich auch Geschmack, nicht immer nur das Rote wie eine Tomate.“ Er besingt die Salzwiesenkräuter und die Blüten des Grünkohls, die „haben wir über den Winter auswachsen lassen, damit wir sie zum Maibock servieren können.“

Begegnungen auf Sylt: Kräuter-Flüsterer Johannes King und sein Garten.
Kings Weg kann man als Sylter Brückenschlag verstehen: von der Sterneküche zu etwas, das die vielen Jungen (Sylt hat eine extreme Dichte an Jugendherbergen) und Camper (und sieben Campingplätze) und nicht-reichen Genuss-Senioren und Familien, die Sylt bereisen, auch erreicht. Aber eben auch die Golfer und Golduhr-Träger.
Programm und Auskunft Nicht verpassen: Wandern im Watt (mit Werner Mansen, sylt-wattwanderungen.de) und zu den Austern (naturgewalten-sylt.de). Abseits des Sommers bietet Sylt viele Events, Festivals und Wellness-Urlaub, das Jahresprogramm: sylt.de
Hotel und Essen Unterkünfte von Camping bis Luxus (z. B. „Privathotels Sylt“, u. a. das „Budersand“ mit Golfplatz daneben, budersand.de, und das Landhaus Stricker mit Gourmetlokal Bodendorf’s, landhaus-stricker.de)
Essen-Tipps: johannesking.de, s-point-sylt.de
Worauf sie sich alle einigen können, sind die Strandkörbe. Sie sind die Essenz von Sylt, einmal sollte man darin liegen und der Nordsee Eintritt in die eigene Seele geben. Zum Beispiel beim Morsum-Kliff. Da muss man sich dann nur mehr entscheiden, ob man lieber auf das Meer schaut oder auf die roten Klippen.
Kommentare