Blue Zone: Warum Menschen auf Sardinien hundert Jahre alt werden

Zusammenfassung
- Sardinien ist eine der fünf 'Blue Zones', bekannt für die hohe Anzahl an Hundertjährigen, deren Langlebigkeit durch gesunde Ernährung, familiäre Bindungen und harte Arbeit begünstigt wird
- Professor Giovanni Pes identifizierte Sardinien als 'Blue Zone' durch umfangreiche Forschungen und beeinflusste die Entdeckung weiterer 'Blue Zones' weltweit
- Die traditionelle sardische Küche mit viel Gemüse, wenig Fleisch und regionalen Produkten wird als wesentlicher Faktor für die Langlebigkeit angesehen
Er war ein fideler Zeitgenosse, der weltweit Abenteuer erleben durfte: „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Die Realität sieht allerdings anders aus als bei Allan Karlsson, dem Helden im Bestseller-Roman von Jonas Jonasson. Die meisten der 677 Hundertjährigen aus der „Blue Zone“ von Sardinien wären körperlich gar nicht mehr in der Lage, aus einem Fenster zu steigen. „Blaue Zone …“, sagt Professor Giovanni Pes, 66 Jahre alt, Demograf an der sardischen Universität von Sassari, „… das fing so an: Ich untersuchte ab 1999 die Mortalität in Sardinien und markierte die Regionen mit signifikanten Abweichungen mit acht Kreisen mit einem blauen Stift auf einer Landkarte.“
Das Geheimnis rund um die "Blaue Zone"
Pes wertete 16.000 Todesanzeigen aus, besuchte 377 Gemeinden auf der Insel und glich alles mit dem Sterberegister ab, sodass ein wissenschaftlicher Bericht erstellt werden konnte. „Blaue Zone?“, fragt Mario Lovina, 101 Jahre alt. „Das sagt mir nichts.“ Mario ist seit zwanzig Jahren blind, wird seitdem von seiner jüngsten Tochter versorgt. Die beiden wohnen im Bergdorf Osini, das sich eng an die Monti del Gennargentu anschmiegt. „Aus dem Haus kann ich kaum noch, das geht schon seit zehn Jahren nicht mehr“, sagt er. Es gäbe Hochs und Tiefs, aber das sei normal in seinem Alter. Er kenne das von seiner Cousine, die sei ebenfalls 101. Professor Pes fragte bei seinen Forschungen nach dem Warum für das hohe Alter und die Angaben von Mario Lovina sind quasi deckungsgleich mit Pes’ Ergebnissen: „Ich war Bauer. Das ist eine harte Arbeit!“, sagt der Hundertjährige. Er esse wenig, „am liebsten Minestrone mit Bohnen. Aber das wichtigste ist, dass achtzig Prozent unserer Nahrung vom eigenen Hof oder Feld kommt, viel Olivenöl, wenig Fleisch“.

Familie, Essen und Glück
„Die Familienbande macht fünfundzwanzig Prozent aus. Ein Altersheim kann Familie nicht ersetzen“, erklärt Pes. „Dazu kommen die DNA mit zehn Prozent, Aktivitäten, wie harte körperliche Arbeit, zu dreißig Prozent, gesundes Essen aus eigener Herstellung, kein Alkohol und nicht Rauchen zu fünfzehn Prozent sowie mit zwanzig Prozent auch die notwendige Portion Glück“. Glück müssen sie in Perdasdefogu, nur wenige Kilometer von Osini entfernt, haufenweise gehabt haben: Wegen der Langlebigkeit ihrer Bewohner kam die Gemeinde sogar ins „Guinness-Buch der Rekorde“. Entlang der Hauptstraße, dem Corso Vittorio Emanuele, finden sich einundzwanzig Fotos von Bewohnern, die mehr als hundert Jahre alt wurden. Statistisch ist dort jeder 250ste hundert Jahre alt oder älter. 2004 wurde der Begriff Blue Zone erstmals veröffentlicht. Ein Journalist der „National Geographic Society“ besuchte Professor Pes auf Sardinien und überzeugte ihn, noch weitere Blue Zones auf der Erdkugel zu finden. Pes fand „nach mühsamer Feldforschung“ eine auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica. Weitere drei kamen hinzu: Okinawa in Japan, Ikaria in Griechenland und Loma Linda in Kalifornien, USA. „Die blauen Zonen sind aber nicht für immer gleichbleibend“, sagt der Professor. „Es kann sein, dass in der nächsten Generation neue Gebiete dazukommen, andere wegfallen.“
Die sardische Küche bleibt
Dessen ungeachtet sagt Massimo Balia: „Die sardische Küche wird sich nicht ändern“. Der Küchenchef im „Falkensteiner Resort Capo Boi“ ist auf der Insel geboren, sein Vater wurde 96 Jahre alt, die Mutter 94. „Beide kümmerten sich bis zum letzten Moment um die Olivenbäume und den Gemüsegarten. In jeder Familie, die ich kenne, gibt es mindestens einen, der um die Hundert geworden ist.“ Es sind die einfachen und regionalen Gerichte, die die sardische Küche so gesund machen: Viel Gemüse und Getreide, wenig Fleisch. Massimos Vater war Bauer: „Wir haben nie Gemüse gekauft, kein Brot, nicht einmal das Mehl. Wir haben alles selber gemacht. Ich liebte unsere hausgemachte Pasta mit Paradeisern aus dem Garten“.

Gegenbeweis im Rollstuhl
Dann rollen Alice Antonietta Tarocco, 102, und Angela Strazzera, 100, daher und könnten in Sachen Familienbetreuung und Essgewohnheiten den Gegenbeweis zu Pes antreten, aber sie sind wohl nur die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Beide sitzen im Rollstuhl und sind die einzigen Hundertjährigen unter den achtzehn Bewohnern des Altersheims von Villasimius, in das sie vor drei Jahren eingezogen sind, weil es zuhause nicht mehr ging. Angela erzählt, dass sie eigentlich nie hundert werden wollte, „aber irgendwann merkte ich: Ich habe die Energie für dieses Alter! Ich kann nicht mehr tanzen wie früher im Ballhaus, aber ich bin noch vital, spiele Karten und ich habe wohl die richtigen Gene: Mein Vater wurde 107, meine Mutter 97 …“ Schwester Pia vom Altersheim, selbst 83, geht näher ans Ohr von Alice und fragt laut: „Was isst du am liebsten?“ Alice grinst und sieht glücklich aus, als sie antwortet: „Süßigkeiten!“
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