Die Rufen wollen nicht verklingen - "Viva il Papa!" und "Leo, Leone!". Und Papst Leo XIV., der vor wenigen Stunden der Welt noch gänzlich unbekannt, lässt sie auf sich wirken. Faltet die Hände zum Dank, blickt in die jubelnde Menschenmenge am Petersplatz, hält inne. Die Fernsehkameras halten jede Regung fest, fokussieren sein Gesicht in Nahaufnahmen.
Was er, der bis eben noch Robert Prevost hieß, in diesen Abendstunden des 8. Mai denkt, was in ihm vorgeht und von nun an zu tun gedenkt - das weiß nur er.
Kirchen-Kenner, Katholiken wie Unbedarfte glauben indes zu wissen, dass der 69-Jährige in der Kirche viel zu bewirken vermögen wird - jedenfalls sympathisch wirkt. Doch warum ist das so?
Für Psychotherapeutin, Autorin und Machtanalytikerin Christine Bauer-Jelinek haben die nun öffentlichen vielfach erfolgten Erstzuschreibungen wie "sympathisch" oder "gütig" mit dem Amt und dem Augenblick selbst zu tun.
"Der Moment der Verlautbarung wird doch bei jedem neuen Papst von den Menschen mit Jubel bedacht", so Bauer-Jelinek. Das gebiete der Respekt, "und es sind hier ja Gläubige oder zumindest Neugierige versammelt. Es wird niemals Buhrufe geben, selbst wenn die eigenen Erwartungen nicht erfüllt wurden. Kritik und Skepsis folgen erst später".
Zudem sei die Erwartungshaltung durch die Einzigartigkeit selbst gegeben. "Auch wenn die Insignien der Macht ähnlich zu jenen von Königshäusern sein möge, so ist die röm.-kath. Kirche mit keiner anderen Institution auch nur annähernd vergleichbar. Die Dauer ihres Bestehens, die Anzahl ihrer Mitglieder, ihre internationale Verankerung, ihr Anspruch auf Wahrheit und Ewigkeit, auf Trost und Gerechtigkeit sichern ihre Sonderstellung." Und damit auch die Sonderstellung des Papstes.
Der heutige Papst mit seinem Vor-Vor-Vorgänger Johannes Paul II
Der Charisma-Trainerin und studierten Soziologin Susanne Altmann fällt beim ersten Auftritt des neuen Papstes vor allem eines auf: seine Ruhe. "Leo XIV. trat ohne große Gesten auf, aber mit einer stillen Präsenz, die sofort spürbar war. Auch wenn er abgelesen hat, seine Körpersprache sagte: Ich bin da. Ich sehe euch."
Genau diese Fähigkeit würde charismatische Personen von anderen unterscheiden. "Sie sprechen nicht über Menschen, sondern mit ihnen - auch wenn sie vor Tausenden stehen. Man könnte sagen: Charismatische Menschen sind nicht laut, sondern lebendig. Sie beeindrucken nicht, sie berühren."
Das Phänomen, eine Person sympathisch zu finden, bevor man etwas über sie weiß oder versteht, was sie sagt - Papst Leo sprach auf Latein, Spanisch und Italienisch -, sei neuropsychologisch gut erforscht. "Schon innerhalb von 50 bis 500 Millisekunden bilden wir erste Eindrücke basierend auf Gesichtsausdruck, Mimik, Gestik, Tonlage und emotionaler Stimmigkeit", erklärt Altmann. Ein entscheidender Faktor: "Stimmigkeit zwischen innerem Zustand und äußerer Erscheinung. Wenn jemand mit sich selbst im Reinen ist, empfinden wir Authentizität – und die macht sympathisch."
Die Geschichte lehrt, dass der gute erste Eindruck auch täuschen kann. Charisma sei kein Garant für Integrität, betont auch Expertin Altmann. "Deshalb ist es wichtig, erste Eindrücke mit offenem Herzen, aber klarem Verstand zu überprüfen." Das gilt auch - und insbesondere - für das neue Kirchenoberhaupt.
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