45 Jugendliche stellen ihre Lieblingsorte in Wien vor. Das ist der Bild-Textband: „Wir sind hier“, der in der ersten Märzwoche im sprichtwörtlich fast aus den Nähten platzenden Veranstaltungssaal der Hauptbücherei vorgestellt wurde.
Romas liebster Ort ist die Wiener Hauptbücherei ...
Die
Hauptbücherei ist übrigens einer dieser 45 Orte – ausgewählt von Roma. Sie erinnert sich in ihrem Beitrag, „als mein Vater und ich das erste Mal den Gürtel entlang gefahren sind und ich ihn gefragt hab', was in diesem Gebäude sei. Er wusste es nicht genau. Am Tag darauf wollte ich mit meiner Mutter nochmal vorbei schauen. Und als wir reinkamen und ich gesehen habe, dass da Bücher sind, war ich begeistert. Denn lesen konnte ich schon! Aber auf Englisch, weil meine Mutter es mir zu Hause beigebracht hat. Und irgendwie hab' ich mit diesen ganz einfachen Kinderbüchern meinen deutschen Wortschatz erweitert. Das war die beste Frage, die ich je in meinem Leben gestellt hab', was in diesem Gebäude wäre?! Ich glaube, ich hab' Deutsch nur durch das Lesen gelernt. Ich habe Bücher gelesen, bin jede Woche wieder gekommen, habe neue Bücher geholt und so ging es weiter, bis ich bereit war, neue Leute kennenzulernen. Lesen gab mir den Schlüssel zur Kommunikation. Das ist auch der einzige Ort, wo ich mich wirklich wohl fühle...“
Roma, die die hauptbücherei zu ihrem liebsten Ort wählte, gibt ein Autogram in Buch - in der Schrift Gurmuki, in der Punjabi auch geschrieben wird. Punjabi zählt zu jenen wenigen Sprachen, die es in mehreren Schriften gibt wie biespielsweise auch Serbisch oder Kurdisch.
Das brachte der nunmehrigen Wirtschaftsrecht-Studentin am Abend der Buchpräsentation naturgemäß zahlreiche Autogramm-Wünsche auch von führenden Mitarbeiter_innen der Wiener Büchereien ein ;)
Die Palette der Orte, die die 45 Jugendlichen gewählt hatten, über die sie schrieben und an denen sie professionell (von
Marie-Christine Gollner-Schmid schwarz-weiß fotografiert wurden, ist breit. Bildungs- und Kultureinrichtungen wie die Bücherei, Schulen (Schulschiff und KMS Grundsteingasse), die
Uni Wien oder das Theaterhaus für junges Publikum, Dschungel
Wien und das
MuseumsQuartier insgesamt zählen ebenso dazu wie die Prater Hauptallee, Augarten oder der
Donaukanal. Letzteren beschrieb Aida recht witzig: „Immer nach der Schule bin ich am
DonaukanalFahrrad gefahren oder habe mit meinen Freunden Basketball gespielt. Der
Donaukanal weckt in mir sowohl positive als auch negative Gefühle. Negative, weil ich hier 10.000 Bälle verloren hab' und ich wollte immer den Bällen nachschwimmen… Und positive, weil ich einfach hier für mich die Ruhe gefunden habe. Eigentlich gibt es nicht unbedingt einen bestimmten Ort, es ist mehr eine Strecke zwischen dem Basketball-Käfig und der Brücke. Was ich damals besonders lustig fand ist, dass hier immer ein Geheimplätzchen für verliebte Paare war. Ich war damals ein kleines Mädchen und ging mit meiner Mutter, manchmal auch alleine, hier entlang. Auf den Bänken saßen oft knutschende Paare. Da hab ich mich immer gefragt, wie das wohl ist, wenn man einen Freund hat? Muss ich mich dann auch verstecken?“
Mit dieser ihrer Schilderung sorgte sie – als eine von drei Jugendlichen, die bei der Buchpräsentation stellvertretend auf dem Podium saßen, auch für so manchen Schmunzler bis Lacher im Publikum. Sohela hatte die Seestadt Aspern zu ihrem liebsten Ort gewählt. Als sie zum ersten Mal mit der U-Bahn hin gefahren sei, habe sie fasziniert, dass erst lange Zeit fast nichts ist und dann erste Wohnsiedlungen auftauchen. „Auch für meine Gegenwart ist die Seestadt ein Symbol“, schreibt und sagt sie (auf dem Podium), „weil sie noch nicht fertig gebaut ist. Ich bin auch ein Mensch, der sich noch entwickelt...“
Die Beiträge enthalten aber nicht nur Beschreibungen der liebsten Orte dieser 45 Jugendlichen, sondern auch meist ihre zukünftigen beruflichen bzw. Bildungswünsche, an deren Umsetzung sie teils schon kräftig werken. Nahla etwa, die wenige Monate vor der Matura steht, hat schon in Dublin den Aufnahmetest fürs Medizinstudium gemacht, dessen Ergebnis sie im Mai erfährt. „Das ist mein Plan B, denn am liebsten würde ich Biomedizin machen“. Im April wird sie in Wien an der FH (der Campus Favoritenstraße ist ihr Ort der Wahl) zum Test antreten.
Josipa, eine der 45 aus dem Buch, fragte die Kolleg_innen am Podium, was sie aus Wien mitnehmen würden, wenn sie später vielleicht einmal in einem anderen Land studieren, arbeiten, leben würden.
„Eigentlich wollte ich die KiKu-Ecke bei der Kinderstadt Rein-ins-Rathaus wählen“, verrät Josipa dem Kinder-KURIER, „aber die gibt’s ja nur eine Woche im Jahr“. Und so wählte sie den Dschungel
Wien, mit dem sie schon mehrfach – nicht nur als Zuschauerin – zu tun hatte. Von einer Performance zum Abschluss des internationalen Peace-Camps bis hin zu einem Kunstprojekt des Start-Stipendien-Programms. „Vor allem durch dieses Projekt hab‘ ich wirklich Lust auf Theater bekommen. Besonders gefällt mir daran das Geschichten erzählen. Man bleibt im Raum, taucht aber in eine andere Welt ein...“
Apropos Start-Stipendien: Das Buch „Wir sind hier“ ist ein Projekt dieses Stipendienprogramms für Jugendliche mit „Migrationsgeschichte“. Viel zu oft werden diese Jugendlichen aber gefragt „woher kommst du?“ Etwas, das sich auf Zufälle in der Vergangenheit bezieht, wo sie – oder nicht selten nur (ein Teil) ihrer Eltern – geboren wurden, manche davon auch erst vor kurzem flüchten mussten. „Wir sind hier“ ist somit auch ein Statement zur Gegenwart – und die Beiträge enthalten alle auch Wegweiser in Richtung Zukunft(swünsche) dieser 45 Jugendlichen!
Das Buch: 45 Jugendliche/45 Geschichten/45 Orte
160 Seiten, mehr als 100 Abbildungen
Mandelbaum Verlag, 19,90 €
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Das Buch
45 Jugendliche 45 Geschichten 45 Orte
160 Seiten, mehr als 100 Abbildungen Mandelbaum Verlag, 19,90 €
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