Vom Witz und Glück des Vergessens

Ein Mann mit Brille schlägt mit einem Hammer auf einen roten und einen blauen Ballon.
Justus Neumann spielt in "Alzheimer Symphonie" viel leiser, aber auch viel berührender als in den bisherigen Produktionen im Zirkuszelt im MuseumsQuartier Wien.

Ein alternder Schauspieler, der mitten in der Probe zu einem Monolog von Shakespears „King Lear“ hängen bleibt, nicht mehr weiter weiß, sich zwischendurch an dies und das und jenes aus seinem (Theater-)Leben erinnert – das ist die Grundstory der „Alzheimer Symphonie“. Ein Monat lang ist sie nun im Circuszelt Elysium im MuseumsQuartier-Hof zwischen Dschungel Wien, Kindermuseum Zoom und Kinderinfo zu sehen, nein erleben. Ein Stück durchaus auch schon für Kinder. Solltest du Verwandte oder Bekannte haben, die mehr und immer mehr vergessen, kannst du sie dann vielleicht ein bisschen besser verstehen. Und wenn nicht, so tauchst du für knapp mehr als eine Stunde in eine für dich fremde Welt ein, von der du vielleicht schon gehört oder gelesen hast, nur wahrscheinlich nie so konkret, so nahe, vor allem so berührend.

Teamwork

Ein älterer Mann mit Brille öffnet eine verzierte Dose in einer Küche.

Deutlich kürzer, viel leiser, nicht weniger kraftvoll und doch viel berührender als seine beiden bisherigen Produktionen im Zirkuszelt – das ist sie, die „Alzheimer Symphonie“ mit und von Justus Neumann, pardon, von ihm und seinem Team, worauf er Dienstag Abend nach der erfolgreichen Wien-Premiere besonders Wert legte.

Da ist zum Beispiel Regisseur Hanspeter Horner, der aus der Fülle der Improvisationen die besten Teile rausfiltert(e) und der erzählt, dass ursprünglich von einem Stück Faust ausgegangen werden wollte. „Das war gut, doch es war nicht der Justus.“ Dann seien beide auf die Idee gekommen, von König Lear auszugehen, einer Rolle, mit der Neumann Mitte der 70er Jahre im Schauspielhaus den Durchbruch erspielte. „Das war viel Persönlicher, viel echter, viel authentischer.“

Sehr persönlich

Ein älterer Mann mit Brille fädelt eine Schnur durch ein Holzstück.

Und das ist es in der Tat. Du sitzt im Zelt, vor dir der Schauspieler, der den Schauspieler spielt und nicht nur den, sondern sich selber.

Auch wenn der Plot traurig klingt, das Stück auch so manch trauriges Moment zeigt, es ist durchzogen von viel Witz und Humor. Jedoch nie, ohne sich über ältere Menschen und ihre Vergesslichkeit lustig zu machen, es nimmt dem verwirrten alten Mann nie die Würde, so skurril auch manche Szene ist.

Ein Mann mit Brille und Weste schlägt mit einem Hammer auf zwei Ballons.

Genial auch das Durchziehen von Fäden, beispielsweise dem musikalischen. Beginnend mit Schuberts „Unvollendeter“ fantasiert der Schauspieler beim Nachdenken, von wem eine gewisse Oper sei, dass sie von Schubert wäre, „was, der hat auch Opern geschrieben, allerhand“. Die musikalische begleitende Unterstützung – mehr als eine Untermalung – stammt von Julis Schwing, dem mit 26 ältesten Sohn Neumanns. Der Jüngste, Louie Manix, demnächst 11 Jahre, steht mit einigen, extrem exakt gesetzten, fokussierten Auftritten zum ersten Mal im Rampenlicht.

Als „Verbündeter“ bringt er dem Schauspieler beispielsweise einen Rucksack voller Gegenstände. Der Star, die Rampensau ist sich bewusst, dass er mit zunehmendem Schwinden seiner Erinnerung auf die Hilfe Verbündeter angewiesen ist. Nach und nach packt der Alte sie aus, legt sie nach ihren Nummern geordnet auf, sie sind ihm Stütze für den Monolog: „Blast Winde, blast...“ Ein Fön hat Nummer 1, eine kleine Seilwinde Nummer 2... Schmetterlinge später erinnern an schmettern, ein kleiner Schlauchreifen gibt das Sinnbild fürs „ganze Erdenrund“, „brecht“ fällt ihm ein, wenn er das Bildnis des Theaterdichters Bert Brecht in die Hand nimmt...

Ein Mann mit erhobenen Händen sitzt in einer Apparatur, die an eine verrückte Erfindung erinnert.

Die Nummernfolge mag vielleicht ein Zitat an die kompakte, witzige Version vom Sommernachtstraum sein, den Neumann vor ein paar Jahren in ebendiesem Zelt gab – als er ganz allein alle Rollen spielte und ihnen Nummern gegeben hatte.

Sehr schräg als er die Sache mit den bereitgelegten Erinnerungsstützen in einer Art Wiederholung zu einer völlig neuen, ganz anderen, ziemlich schrägen Geschichte erzählt.

Zauberstuhl

Ein älterer Mann mit Brille arbeitet an einem Tisch voller Werkzeuge und Materialien.

Und dann bleibt da noch eine Sache, im wahrsten Sinn des Wortes, zu erwähnen: Eine Art multifunktional erweiterter Rollstuhl – mit Tisch und eingebautem Herd, ausfahrbaren Küchen- und Badezimmerkasteln, der sich um einen Waschtisch ebenso erweitern lässt wie einen Klapp-Tischtennistisch zum Solospiel – gebaut wie die genialen Objekte in den vorigen Produktionen von Greg Methé.

So nebenbei teilt Justus Neumann einen Seitenhieb auf die Sedierung (Ruhigstellung) vieler Alzheimer-Patient_innen durch Medikamente aus – indem er aus einer Litanei von Nebenwirkungen vorliest – und zitiert ein Plädoyer fürs Vergessen als „die glücklichste Erfindung, die es gibt!“

Alzheimer Symphonie Darsteller: Justus Neumann Regie: Hanspeter Horner Komposition: Julius Schwing Technik: Wolfgang Kalal Objekte: Greg Methé Bühnenbildassistenz: Anja Zehetgruber Produktion: Elke Hesse, Sophia Felbermair Ein Verbündeter: Louie Manix

Bis 6. Oktober immer Donnerstag - Sonntag, jeweils 20 Uhr

Circus Elysium vor dem Dschungel Wien 1070, MuseumsQuartier, Fürstenhof Telefon: (01) 522 07 20-20www.dschungelwien.at

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