„Am Anfang hab ich gar nicht gewusst, was das ist, eine Beschneidung. Ich hab geglaubt, da wird der Bauch aufgeschnitten“, meint Somya Rathee, eine der jungen Darsteller_innen des jüngsten Stücks von Volx Margareten, sozusagen der Jugendbühne des Wiener Volkstheaters. Neun Kinder bzw. Jugendliche (7 bis 13 Jahre) und eine erwachsene verhandeln in knapp weniger als eineinhalb Stunden auf der Bühne „Der Junge wird beschnitten“ ein Thema, das vor rund drei Jahren heftig und sehr kontrovers diskutiert wurde – von Erwachsenen.
Ist
Beschneidung – der Vorhaut von Buben wohlgemerkt, nicht die grausame weibliche Genitalverstümmelung – eine religiöse Vorschrift im Judentum und im Islam heilig, nicht zu kritisieren? Oder ist sie eine Kindesmisshandlung? Sollte sie nicht wenn, dann überhaupt erst später stattfinden, wenn Burschen selbst darüber bestimmen können? Oder sind die zuletzt genannten Positionen nur Verschleierungen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in „aufgeklärterem“ Gewande?
Diese Positionen, ihr Pro und Contra, sowie medizinische und technische Details der
Zirkumzision (Beschneidung), aber auch Debatten um gesellschaftliche Zusammenhänge – dass sich einerseits alles um das männliche Glied dreht, dass andererseits die Geburt eines männlichen Kindes mit deinem schmerzhaften Eingriff bei den einen wenige Tage nach der Geburt, das freudige Ereignis überlagern könnte... – das meiste davon wird in diesem Stück im Volx Margareten von den 7- bis 13-Jährigen rezitiert. Die Texte stammen aus mehr als zwei Dutzend Interviews, die die Regisseurin und andere Theaterleute führten.
Die Kinder haben aber nicht lediglich für sie unverständliche Texte auswendig gelernt, sie haben sich ausführlich damit auseinandergesetzt. Nicht nur in den Proben, sondern auch wie etwa
Mika Perner und Louize Brudermann nach der Premiere dem Kinder-KURIER erzählen, „mit Eltern darüber geredet oder im Internet nachgeschaut, was das eine oder andere heißt“. Als sie dann gewusst habe, was
Beschneidung sei, „fand ich das noch grauslicher als Bauch aufschneiden“, so
Somya Rathee.
Der Kniff, die Debatte und Argumente Erwachsener über eine Sache, die mit (männlichen) Kindern passiert, von Kindern bühnenreif zu verhandeln, nimmt der
Diskussion von Anfang an jene Verbissenheit, mit der sie Erwachsene führen. Ein wenig weckt dieser dramaturgische „Schmäh“ Anklänge an „Maschek redet drüber“ auf umgekehrter Ebene. Werden dort – fiktive – Texte über reale Bilder gelegt, verfremden die realen Texte aus den Mündern von Kindern diese, eröffnen damit vielleicht mehr Offenheit in der Debatte oder für so manche erst die Möglichkeit, sich wirklich mit den (Gegen-)Argumenten auseinander zu setzen. Dazu dienen sicher auch die eine oder andere humorvolle Passage – vom Vergraben einer abgeschnittenen Vorhaut in einem Blumentopf bis zu den gekonnt erzählten Witzen (vom Zusammentreffen eines Katholiken, eines Juden und eines Moslems...) durch
Oskar Fried.
Weshalb die Kinder sich die Ohren zuhalten müssen, wenn die Schauspielerin von einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager
Mauthausen erzählt, erschließt sich nicht wirklich. Über eine Passage am Schluss bei der Kinder – auch jene im Publikum rausgehen müssen, sei hier der Mantel des Schweigens gebreitet.
Weshalb aber im Zuge der Recherchen – nach Auskunft aus dem Theater – nur Erwachsene befragt wurden, wo doch neun Kinder die Texte sprechen, wirkt doch leider befremdlich.
Regie Anja Salomonowitz mit Karin Lischka (meist Mutter), den Kindern Fanny Berner, u.a. Ärztin, die die medizinische Seite erklärt Louize Brudermann, die für die Frauengerechtigkeit kämpft Simon Christian, Junge, der zum Islam konvertiert Robert Czyszczon, der schon bei „Ausblick nach oben“ überzeugend gespielt hat Nathan Eckert, der bei der Beschneidung erst reingelegt wird Oskar Fried, Witze-Erzähler und Geigenspieler Mika Perner, Rabbi - erklärt die Tora-Regeln Elizabeth Pritchard-Smith, Karatekämpferin, die es auch mit den größten Jungs aufnimmt Somya Rathee, erklärt Tätowierungen Musiker: Bernhard Fleischmann
Bühne und Kostüme: Katharina Heistinger Projektionen: Oleg Prodeus Dramaturgie: Roland Koberg Regie-Assistenz: Calle Fuhr Hospitanz: Martin Knuhr, Miriam Tsekas Casting: Mirela Baciak Recherche, Transkription: Angela Heide, Martin Knuhr, Tina Leisch
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