Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...

Vorne (von li): Simon, Oskar, Mika, Louize, Zino (der nicht mitspielte), Somya. Hinten: Nathan, Robert, Anja, Elizabeth, Karin, Fanny.
In "Der Junge wird beschnitten" spielen neun Kinder und eine erwachsene Schauspielerin die Beschneidungsdebatte anhand von Zitaten Erwachsener.

„Am Anfang hab ich gar nicht gewusst, was das ist, eine Beschneidung. Ich hab geglaubt, da wird der Bauch aufgeschnitten“, meint Somya Rathee, eine der jungen Darsteller_innen des jüngsten Stücks von Volx Margareten, sozusagen der Jugendbühne des Wiener Volkstheaters. Neun Kinder bzw. Jugendliche (7 bis 13 Jahre) und eine erwachsene verhandeln in knapp weniger als eineinhalb Stunden auf der Bühne „Der Junge wird beschnitten“ ein Thema, das vor rund drei Jahren heftig und sehr kontrovers diskutiert wurde – von Erwachsenen.

Pro und Cons

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Ist Beschneidung – der Vorhaut von Buben wohlgemerkt, nicht die grausame weibliche Genitalverstümmelung – eine religiöse Vorschrift im Judentum und im Islam heilig, nicht zu kritisieren? Oder ist sie eine Kindesmisshandlung? Sollte sie nicht wenn, dann überhaupt erst später stattfinden, wenn Burschen selbst darüber bestimmen können? Oder sind die zuletzt genannten Positionen nur Verschleierungen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in „aufgeklärterem“ Gewande?

Diese Positionen, ihr Pro und Contra, sowie medizinische und technische Details der Zirkumzision (Beschneidung), aber auch Debatten um gesellschaftliche Zusammenhänge – dass sich einerseits alles um das männliche Glied dreht, dass andererseits die Geburt eines männlichen Kindes mit deinem schmerzhaften Eingriff bei den einen wenige Tage nach der Geburt, das freudige Ereignis überlagern könnte... – das meiste davon wird in diesem Stück im Volx Margareten von den 7- bis 13-Jährigen rezitiert. Die Texte stammen aus mehr als zwei Dutzend Interviews, die die Regisseurin und andere Theaterleute führten.

Damit beschäftigt

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Die Kinder haben aber nicht lediglich für sie unverständliche Texte auswendig gelernt, sie haben sich ausführlich damit auseinandergesetzt. Nicht nur in den Proben, sondern auch wie etwa Mika Perner und Louize Brudermann nach der Premiere dem Kinder-KURIER erzählen, „mit Eltern darüber geredet oder im Internet nachgeschaut, was das eine oder andere heißt“. Als sie dann gewusst habe, was Beschneidung sei, „fand ich das noch grauslicher als Bauch aufschneiden“, so Somya Rathee.

Der Verbissenheit die Zähne gezogen

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Der Kniff, die Debatte und Argumente Erwachsener über eine Sache, die mit (männlichen) Kindern passiert, von Kindern bühnenreif zu verhandeln, nimmt der Diskussion von Anfang an jene Verbissenheit, mit der sie Erwachsene führen. Ein wenig weckt dieser dramaturgische „Schmäh“ Anklänge an „Maschek redet drüber“ auf umgekehrter Ebene. Werden dort – fiktive – Texte über reale Bilder gelegt, verfremden die realen Texte aus den Mündern von Kindern diese, eröffnen damit vielleicht mehr Offenheit in der Debatte oder für so manche erst die Möglichkeit, sich wirklich mit den (Gegen-)Argumenten auseinander zu setzen. Dazu dienen sicher auch die eine oder andere humorvolle Passage – vom Vergraben einer abgeschnittenen Vorhaut in einem Blumentopf bis zu den gekonnt erzählten Witzen (vom Zusammentreffen eines Katholiken, eines Juden und eines Moslems...) durch Oskar Fried.

Und die Kinder?

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Weshalb die Kinder sich die Ohren zuhalten müssen, wenn die Schauspielerin von einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen erzählt, erschließt sich nicht wirklich. Über eine Passage am Schluss bei der Kinder – auch jene im Publikum rausgehen müssen, sei hier der Mantel des Schweigens gebreitet.

Weshalb aber im Zuge der Recherchen – nach Auskunft aus dem Theater – nur Erwachsene befragt wurden, wo doch neun Kinder die Texte sprechen, wirkt doch leider befremdlich.

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Der Junge wird beschnitten
von Anja Salomonowitz

Regie Anja Salomonowitz
mit Karin Lischka (meist Mutter),
den Kindern
Fanny Berner, u.a. Ärztin, die die medizinische Seite erklärt
Louize Brudermann, die für die Frauengerechtigkeit kämpft
Simon Christian, Junge, der zum Islam konvertiert
Robert Czyszczon, der schon bei „Ausblick nach oben“ überzeugend gespielt hat
Nathan Eckert, der bei der Beschneidung erst reingelegt wird
Oskar Fried, Witze-Erzähler und Geigenspieler
Mika Perner, Rabbi - erklärt die Tora-Regeln
Elizabeth Pritchard-Smith, Karatekämpferin, die es auch mit den größten Jungs aufnimmt
Somya Rathee, erklärt Tätowierungen
Musiker: Bernhard Fleischmann

Bühne und Kostüme: Katharina Heistinger
Projektionen: Oleg Prodeus
Dramaturgie: Roland Koberg
Regie-Assistenz: Calle Fuhr
Hospitanz: Martin Knuhr, Miriam Tsekas
Casting: Mirela Baciak
Recherche, Transkription: Angela Heide, Martin Knuhr, Tina Leisch

Wenn Kinder erwachsene Diskurse spiegeln...
Szenenfoto aus "Der Junge wird beschnitten"
Wann und wo?
Bis 9. Mai

Volx/Margareten
1050, Margaretenstraße 166
Telefon: (01) 52111-0
www.volkstheater.at

Kommentare