"Warum traut ihr uns nicht mehr zu?!

Eine Gruppe Kinder sitzt mit einer Betreuerin auf dem Boden und spielt ein Spiel.
Kinderfreunde-Tagung zum Thema Risiko: Wer Kinder über zu viele Verbote beschützen will, verhindert ihre (motorische) Entwicklung.

Ein Löwe kann ein Risiko sein, oder auch ein Krebs. Risiko ist etwas, das gefährlich sein kann, aber gut ausgeht. Spannung ist fast immer dabei und Eltern sagen, dass es zu gefährlich ist.

Ein Mädchen liegt auf dem Boden und schreibt auf ein Blatt Papier.
Die Workshop-Kinder zeichnen eigene Risiko-Situationen, die sie schon erlebt haben
Dalia, Liel, May, Miriam, Davie, Elik, Sami, Gabriel, Gilad, Jossi, Michael, Ella und ihre Kolleginnen und Kollegen aus der 2a der Zwi Perez Chajes Volksschule in Wien beschäftigen sich mit dem Thema Risiko in einem der Workshop-Räume im Bildungszentrum der Arbeiterkammer (AK). Unten im großen Saal vernehmen und diskutieren interessierte Erwachsene, viele davon Kindergarten-Pädagog_innen, Vorträge dazu aus rechtlicher, gesundheitlicher, psychiatrischer sowie neurowissenschaftlicher und natürlich pädagogischer Sicht bei der von den Kinderfreunden organisierten Tagung „Risiko verboten?! Kindliche Lebenswelten zwischen Schutz und Abenteuer“.

Nur wer Gefahren kennt, kann sich davor hüten

Zwei Jungen sitzen auf Stühlen, einer hält eine Wasserflasche, der andere einen bunten Ball.
Zwischendurch besprechen sie Themen in der gemeinsamen großen Runde
Beklagten vor ein paar Jahrzehnten „nur“ Kinder und vor allem Jugendliche, dass sie überbehütet würden, leiden heute auch die Pädagoginnen und Pädagogen unter Eltern, die schon im – heuer besonders warmen – September baten, die Kinder nicht in den Garten zu lassen. Lieber einen Kratzer und dafür können die Kinder lernen sich zu bewegen, andernfalls werden sie vielleicht später dauernd über die eigenen Füße stolpern...

Zurück zu den Kindern, die im Workshop das Thema besprachen und vor allem dazu plastisch Situationen in Zeichnungen schilderten. Ob ein eingeklemmter Finger bei der Autotür nach dem Tanken, ein Hinfallen mit Rollerskates, ein Stolpern des Vaters über eine Treppe, was viel gefährlicher war als der zuvor vom Boot aus im Meer gesichtete Hai ... die Kids zählten selbst und mit-erlebte Gefahrensituationen auf. Ein Bub zeichnete über einen Ausflugstag in einem südafrikanischen Safaripark die Langeweile als offenbar viel größere Gefahr als den Löwen.

Vorsicht und Hilfe

Niemand hingegen wollte die genannten und andere beschriebenen Gefahrenmomente missen, sondern Lehren ziehen: Vorsichtiger sein – aller Beteiligten, lautete die eine. Und die andere: Es braucht dann immer Leute, die helfen!

Ein Mädchen präsentiert stolz ihre Zeichnung von einem Boot mit Hai.
Die Workshop-Kinder zeichnen eigene Risiko-Situationen, die sie schon erlebt haben
Für viele der Erwachsenen war besonders der Vortrag „Packt uns nicht in Watte, wir wollen was erleben“ von Katrin Hille vom TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen an der Universität Ulm, spannend und bestärkte jene pädagogische Haltung, die besagt, Kinder müssten den Freiraum haben, sich auch motorisch zu entwickeln, dann passiert ihnen später wenig(er).

Kinder schätzen sich viel besser ein

Unter anderem verwies sie auf eine Reihe von Studien, die beleben, dass sogenannte Umfallen- „Unfälle“ im frühen Alter relativ harmlos sind – weniger Größe, weniger Gewicht. Das ist also die Zeit, wo die Kinder sich in motorischer Hinsicht am besten ausprobieren können.

Auch schon ganz junge Kinder (eine Studie bei 14-Monatigen, die über schiefe Ebene gehen sollten, in einem späteren Versuch Jacken mit schweren Schulterpolstern bekamen und sich dementsprechend automatisch anpassten) können sehr gut einschätzen, was sie motorisch mit Sicherheit bewältigen können. Erwachsene tendieren dazu, die motorischen Fähigkeiten von Kindergartenkindern eher zu unterschätzen. Die Kinder selber schätzen sich im Durchschnitt realistischer ein.

Wer Kinder abhält, behindert ihre Entwicklung

Eine Gruppe von Mädchen sitzt auf dem Boden und betrachtet Zeichnungen.
Die Workshop-Kinder zeichnen eigene Risiko-Situationen, die sie schon erlebt haben
Die Verbesserung der Motorik führt zum Rückgang von Unfällen. Umgekehrt: Wenn die Bewegung von Kindern eingeschränkt wird, führt das zu mehr Unfällen. Jeder will Kinder vor Unfällen bewahren, deshalb sollte niemand die motorische Entwicklung von Kindern behindern. Auch nicht im Namen der Sicherheit – so ihr Plädoyer.

Wir sind ja nicht blöd!

Das im Übrigen der 13-jährige Joel der am Nachmittag in einer der Diskussionsrunden lange scheinbar unbeteiligt saß, gegen Ende in einem kurzen prägnanten Statement auf den Punkt brachte: „Erwachsene sollten Kindern mehr zutrauen. Wir sind ja nicht blöd, wir wissen, dass wir uns verletzen können, wenn wir gegen einen Baum rennen. Und dass wir vorsichtig sein und aufpassen müssen, wenn wir auf einen Baumklettern. Das macht Spaß, wenn uns das verboten wird, können wir’s aber nie lernen!“

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