Streit! Was tun?

Eine große Gruppe junger Menschen sitzt und steht für ein Gruppenfoto.
Bericht einer 15-jährigen "Streitschlichterin" über Ausbildung, Wirkung und das System von Peer-Mediation in Dutzenden Schulen.

X und Y aus der ersten Klasse haben Streit. Was sollen sie jetzt tun? Im GRG-Ettenreichgasse und in 40 anderen Wiener Schulen haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich an ausgebildete Peer-Mediator_innen zu wenden. Dies sind Schüler_innen, die eine einjährige Ausbildung, meist in der neunten Schulstufe, absolviert haben. In einem oder mehreren Mediationsgesprächen mit zwei zuständigen Peers wird nach und nach eine Lösung für das Problem erarbeitet.

Ablauf

Zwei Hände scheinen sich auf einem blauen Hintergrund zu berühren.
Zu Anfang werden die Regeln klargestellt, an die sich die Streitparteien halten müssen. Diese beinhalten unter anderem, dass die beiden Ich-Botschaften formulieren sollen. Das bedeutet, sie sollen ihre Gefühle und ihre Sichtweise schildern, ohne Anschuldigungen über den anderen fallen zu lassen.

Zunächst wird die Spitze des Eisberges, sprich die Auslöser des Konfliktes erfragt. Diese sind aber nur ein Bruchteil des gesamten Streits. Der nächste Schritt ist, die Ursache für die Situation ans Licht zu bringen. Wie konnte es überhaupt zu dem Konflikt kommen? Dieser Punkt, quasi der Teil des Eisberges, der unter Wasser liegt, ist mit Abstand der wichtigste. Erst nachdem die Streitparteien die Gründe des jeweils anderen gehört haben, kann man ihnen als Peer helfen, von sich aus eine Lösung zu finden, die für beide Parteien vereinbar ist.

Um sicher zu gehen, dass die beiden sich auch an das Vereinbarte halten, kommen wir Peers auch nach dem Gespräch regelmäßig in die Klassen, um sich nach der Lage zu erkundigen.

Ausbildung

Eine Gruppe von etwa 30 jungen Menschen posiert für ein Gruppenfoto in einem Innenraum.
Fast alle Mediator_innen der Schule samt Coach
Die Ausbildung zum Peer-Mediator/zur Peer-Mediatorin dauert ein Schuljahr. Innerhalb dieses Jahres erlernendie Vermittler_innen jedoch weit mehr als „nur“ das Führen eines Mediationsgespräches.
Sie lernen den Aufbau und verschiedenste Lösungsoptionen für Konflikte aller Art kennen. Doch das ist nicht alles, denn durch die Ausbildung lernen sich die Jugendlichen auch selbst besser kennen. Sie erforschen der Verhalten in Konfliktsituationen, sei es ein Streit mit jemandem oder einer der täglichen Konflikte mit sich selbst.

Darüber hinaus lernen die Peer-Mediator_innen auch, sich zu akzeptieren und mit sich selbst klar zu kommen. Am Anfang des Jahres wurde jeder der neuen Auszubildenden gebeten, sich vor die Gruppe zu stellen und laut und selbstbewusst zu sagen „Ich bin wunderbar“. Damals kam höchstens ein schüchternes Geflüster hervor, mittlerweile, wenn gelingt diese Übung laut und selbstsicher.

"Auch wenn es auf den ersten Blick aussah, als passe das gar nicht in die Mediation, fanden wir bald heraus, wie wichtig es doch ist, sich seiner selbst ebenso bewusst zu sein. Denn nur wenn wir uns selbst ausreichend kennen und akzeptieren, können wir anderen helfen, ihre Problem zu bewältigen."
Maria Poljak, 15

Interview mit Dilara Feyzioglu, Peer-Mediatorin im zweiten Jahr

Eine Frau mit grauem Schal steht vor einem Bücherregal.
Peer-Mediatorin Dilara Feyzioglu
F: Warum hast du mit der Ausbildung begonnen?
A: Ich wollte für die Kinder da sein, da ich selbst Mobbing Erfahrungen hatte und nicht will, dass Betroffene sich schlecht fühlen.

Hat dir die Peer-Ausbildung auch persönlich geholfen?
Ja, mich selbst besser kennen zu lernen, mit Konflikten umzugehen und Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Wie kommst du mit komplizierten Fällen klar?
Planung! Ich höre mir alle Seiten bis zum Ende an, ich sammle Informationen und beobachte die Betroffenen, um mir einen Eindruck von ihrem Charakter zu verschaffen und die beste Vorgehensweise zu bestimmen. Ich versuche, mich in die Kinder hinein zu versetzen.

Ist es schwer, die Fälle vom Persönlichen abzugrenzen?
Ja, teilweise schon, weil ich ein emotionaler Mensch bin, aber die eigenen Gefühle helfen oft, sich besser in die Lage der Kinder zu versetzen. Man kann es schaffen!

Was wäre, deiner Meinung nach, in unserer Schule ohne Peers anders?
Chaos! Die Klassengemeinschaft wäre bei weitem nicht so gut, die Schüler wären unglücklich. Das wäre allgemein gar nicht gut.

Gespräch mit Angela Stivanello, Peer-Mediatorin im ersten Jahr

Porträt einer lächelnden jungen Frau mit langen, braunen Haaren.
Peer-Mediatorin Angela Stivanello
F: Warum hast du dich für die Ausbildung entschieden?
A: Weil ich weiß, dass es schwer sein kann, in so einer großen Schule neu zu sein, und ich selbst damals gerne jemanden gehabt hätte. Das macht es um einiges leichter.

Wie gefällt dir die Ausbildung bis jetzt?
Sehr gut! Ich lerne viele neue Dinge dazu und kann mir mit jedem Tag meinen Job als Peer mehr vorstellen.

Hältst du die Peers für eine wichtige Institution an der Schule?
Ja, definitiv!

Denkst du, dass du gut vorbereitet wurdest, um nächstes Jahr eine eigene Klasse zu betreuen?
Natürlich macht man sich Gedanken, aber ich denke, wir beherrschen die Grundkompetenzen und lernen mit der Erfahrung auch noch mehr dazu.

Würdest du die Ausbildung weiterempfehlen und wenn ja wem?
Sicher! Nur denen, die auch bereit sind, die nötige Zeit und Kraft für die Kinder zu investieren.

Gespräch mit Eva Baldauf-Schwalb, Peer Coach am GRG Ettenreichgasse

Eine lächelnde Frau mit kurzem blonden Haar, Perlenkette und korallfarbener Strickjacke posiert für ein Foto.
Coach Eva Baldauf-Schwalb
F: Wie lange gibt es die Peers schon an der Schule und wie lange sind Sie bereits Coach?
A: Seit 15 Jahren gibt es die Peer-Mediation an unserer Schule und ich bin seit sieben Jahren hier Coach.

Sind die Peers immer leicht zu finden?
Bis jetzt eigentlich ja. Manchmal schicken wir auch die ausgebildeten Peers durch die vierten Klassen, damit sie unsere Tätigkeiten erklären und eventuelle Interessenten ausfindig machen.

Gibt es bei besonders komplizierten Fällen so etwas wie eine „Supervision“ von Ihrer Seite?
Bei den Gesprächen selbst, nie. Ich bespreche die Fälle oftmals im Vorfeld mit den Peers, um sie vorzubereiten. Bei sehr komplizierten Fällen setze ich aber auch eher auf erfahrene Mediatoren.

Warum ist Mediation durch Schüler_innen effektiver als bloße Betreuung durch Lehrkräfte?
Erstens haben die Kinder mehr Vertrauen zu anderen Jugendlichen, und sie könne direkter mit ihnen sprechen. Zweitens kennen die Schülerinnen und Schüler die Probleme der jüngeren aus eigener Erfahrung, die nicht lange her ist. Außerdem sind die Peers viel objektiver und unparteilicher als Lehrer_innen. Diese könnten die Kinder im Vorfeld als „böse“ abstempeln, wenn sie beispielsweise im Unterricht nicht so gut sind.

In welcher Hinsicht profitieren die Schüler_innen später von ihrer Peer-Ausbildung?
Einerseits werden viele Kurse, die man im Laufe seiner Tätigkeit absolviert, bei einer späteren Ausbildung angerechnet. Doch man profitiert auch persönlich. Man lernt nicht nur „Wie führe ich ein Gespräch?“, sondern „Wie bin ich?“

Wie sehr wird das Angebot der Peers genutzt?
Bei größeren Problemen kontaktieren uns die Lehrer_innen. Da die Peers eigene Klassen betreuen, sind sie bei den Kindern auch im Vorhinein bekannt. Oftmals hilft den Kindern jedoch auch das Reden, sodass kein Mediationsgespräch notwendig ist.

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