An diesem Vormittag flossen mehrmals Tränen im Turnsaal der Neuen Mittelschule Roda-Roda-Gasse in Wien-Floridsdorf. Nein, es gab keine Keilerei. Es verletzte sich auch niemand bei einer Turnübung oder einem sportlichen Wettkampf. Es wurde "nur" geredet, dazwischen waren für die Schüler der drei vierten Klassen sowie der Fachmittelschule einige Bilder zum Thema zu sehen – aus Flüchtlingslagern, insbesondere dem riesigen Zatari in Jordanien, wo mehr als 150.000 Menschen vor allem aus Syrien Zuflucht gefunden haben.
Kinder und Jugendliche in
Schulen mit Flüchtlingen zusammen zu bringen, um deren Situation, deren Beweggründe kennen zu lernen – das hat sich der erst vor wenigen Monaten gegründete Verein "Nubigena – Wolkenkind" vorgenommen. Mit "Der Flüchtling in dir" kommt der Verein in
Schulen. Dafür wurde er auch mit einem Sonderpreis der Jury bei den kürzlich verliehenen Preisen "Wiener Mut" ausgezeichnet.
Ajla Lubić musste als 13-Jährige aus
Bosnien vor dem Krieg flüchten, zunächst nur nach
Kroatien, wovor der krieg auch nicht Halt machte. Letztlich landeten sie und ihre Familie in
Österreich – zunächst im
LagerTraiskirchen. Als sie aus ihren Erinnerungen erzählt, kommen die Gefühle – der Angst in der Kriegssituation, aber auch jener auf der Flucht und nicht zuletzt der Ausgegrenztheit nach der Ankunft in
Österreich – hoch und damit beginnen Tränen zu rinnen. Aber nicht nur bei ihr, sondern auch bei einigen Jugendlichen wie Elona Gashi, die mit ihrer Familie als kleines Kind aus dem
Kosovo kam und Jelsy Tambwe, die "Oma und Opa und andere Verwandte im Kongo (
Afrika) verlor und hier in
Österreich auch manchmal wegen meiner Hautfarbe ausgelacht werde".
Neben Ajla Lubić, die über die eigene, ganz persönliche Geschichte erzählte, brachte Sina Gharehkhani Bilder und berührende Eindrücke von seiner Arbeit an einem Film im Flüchtlingslager Zatari mit – von einer Frau, vor deren Augen ihr Mann und einer der Söhne umgebracht wurde und die sich mit letzter Kraft mit ihren drei weiteren Kindern retten konnte, von Kindern und Jugendlichen, die im
Lager gierig darauf sind, lernen zu können, davon, wie es in so riesigen
Lagern oft zugehe… Auch
Thomas Seifert, Journalist – jetzt bei der Wiener Zeitung –, der schon für verschiedene Medien aus Flüchtlingslagern und kriegerischen Situationen berichtete, konnte das eine oder andere Schicksal schildern.
Mitfühlen
Und genau diese konkreten Schilderungen erreichten, berührten die Jugendlichen. "Über Flüchtlinge hab ich schon verschiedene Dokus im Fernsehen gesehen", meinte etwa Vanes Usković, "aber wie’s in einem Lager zugeht, das war für mich neu". Kübra, Eda, Seda und Semanur unterstreichen das. "Wie schrecklich und traurig ein Krieg ist, wissen wir schon, besonders in den letzten Wochen seit den Berichten aus Kobanê. Aber anderes wie zum Beispiel, was vor 20 Jahren in Kroatien,
Bosnien und Serbien passiert ist, das war für uns schon neu. Und trotzdem kann man sich das, glaube ich, gar nicht richtig vorstellen, wenn man’s nicht erlebt hat", meint das Mädchen-Quartett. "Naja, ein bisschen mehr mitfühlen konnte man durch die Schilderungen schon", findet der Bursche Izo nach diesem bewegenden Vormittag für sich.
Jan David Lemp, Nina Hofstetter und Chrisoph Banjas sollen in kürzester Zeit sagen, was sie in den einzigen Koffer packen würden, wenn sie Hals über Kopf flüchten müssten.
Neben dem Mitgefühl versuchen die drei im Podium und die Vertreter des Vereins, aber auch die Schuldirektorin
Petra Ebenauer den Jugendlichen noch etwas mitzugeben: Auch jene, die hier das Glück haben, in keiner vergleichbaren Situation leben zu müssen, können einiges tun – im Umgang mit anderen Menschen, nicht zuletzt und insbesondere solchen, die hier Zuflucht finden.
Vor den Schilderungen der drei Gäste hatte Eser Ari-Akbaba, eine Nubigena-Mitwirkende, die die gesamte Veranstaltung moderierte, drei Jugendliche zu einem kleinen Gedankenexperiment gebeten. Jan David Lemp, Nina Hofstetter und Christoph Banjas hatten dann nur jeweils höchstens eine Minute Zeit, Dinge zu nennen, die sie bei überstürzter Flucht in einen Koffer packen würden. Gar nicht so einfach. Proviant und Kleidung und Handy waren dann die meist genannten Gegenstände.
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