Höhenflüge und Tiefgänge

Im 22. Jahr hat der Wiener Kinder- und Jugend-Circus kaOs seine Abschluss-Aufführung ganz anders gestaltet. Keine Sitztribünen fürs Publikum, keine durchgängige Show, die Nummer für Nummer vor den sitzenden Zuschauer_innen aufgeführt wird. „Ausstellung“ nennt sich die Summe der kurzen Performances. Jede hat auch einen eigenen Titel, gemeinsam stehen sie unter dem Motto „Augen-Blicke“. Und mit solchen beginnt's gleich beim Eingang der Zirkus-Halle in einer alten Industriehalle in Wien-Floridsdorf. Links und rechts an die Wände projiziert stehst du als Gast zwischen Bildern bewegter Gesichter aller Mitwirkenden und deren dich ständige anblickenden Augen. Spannend, weil doch bei vielen sicher neben dem interessierten Beobachten, vielleicht dem Rätseln, welche Augen gehören zu welchem Gesicht sich auch der Gedanke nach ständiger Überwachung aufdrängt...
Wander-Ausstellung

Apropos sich aufdrängende Gedanken. Alle folgenden artistischen Meisterleistungen sind stets auch mit philosophischen Gedanken verbunden, die an Wänden neben den Installationen, an denen die jungen Zirkuskünstler_innen turnen, zum Nachlesen kleben, die aber auch von einem Quartett, das das Publikum durchführt – noch ausführlicher – erzählt werden. Und alle sind so vielsagend und doch offen, dass im eigenen Hirn weiterführende Gedanken zu rattern beginnen. Zur geistigen gesellt sich bei der „Ausstellung“ auch körperliche Bewegung. Als Zuschauer_in gehst du von Station zu Station.
Selbst bekannte Kunststücke wie Jonglieren ( Elisabeth Schwarz, Hannah Ernst und Mika Ziegler) oder Diabolo wirken in diesen dafür erdachten Konzeptionen. Letzteres findet mit zwei leuchtenden Diabolos (wenn sie zu dritt agieren: Jesse Ziegler, Jonathan Neuhold und Leo Betinelli) in einem ziemlich abgedunkelten Raum statt. Die Gedankenblitze dazu: „Manchmal macht es das aus, was dem Blick, den Augen entzogen bleibt... durch das abwechselnde Erscheinen und Verlöschen des Objektes entsteht ein ständiger Wechsel von emotionalen Blickwinkeln...“
Quantensprünge

Selbst das Trampolin und die Salti und anderen „luftigen Hopser“ verändern sich unter dem Titel „Quantensprünge“ - Mathematisches wird in sie hinein projiziert (Jakob Guttmann, Jakob Seidl, Jeremia Neuhld, Tim Guttmann, Tobias Halasz).
Die Trapeznummern verwandeln sich in Statements über fallen und aufrichten, weil Elisabeth Schwarz, Hannah Ernst, Laura Lazar und Nyima Hold wie senkrecht sitzende und hängende Dominosteine ihre Bewegungen von einer zur anderen weitergeben.
Eine andere Form der Trapez-Artistik erbringen Anna Wheeler, Estra Darvish Zadeh, Iris Wonisch, Lea Baumgartner, Natascha Habelböcker, Nyima Hold, Rubina Schreidl und Sarah Wallraff an den zu einem Zehn-Eck angeordneten Trapez-Zylinder, das hier „Hut des Riesen oder Turm der subatomaren Möglichkeiten“ heißt.
Wunder-Kugel

„Fallende Blicke“ nennen sich die Aktionen von Anna Frytsch, Filitsa Siegl, Ida Zahradnik, Judith Arcangel, Laura Sutrich und Verena Grundner ihre Kunststücke an den Tüchern, die die Guides als „Seidenen Wald“ bezeichnen. Von diesen sich ständig verändernden Übungen ist es nicht so weit zu einem, nein dem zentrale Aufmerksamkeit erweckenden Objekt. Diese Kugel wurde von den kaOs-Leuten gemeinsam mit einem Statiker und Konstrukteur in langer, langer Arbeit entwickelt. Auf den ersten Blick schaut das „Auge der Welt“ benamste Teil noch gar nicht so spektakulär aus, aber sie hat es in sich! Eine metallene Gitterkugel mit etlichen Querstreben, in der sich ein Querteil ergibt, das an ein Rhönrad erinnert. Laura Lazar, Sophie Wutte, Victoria Nuñez und Zoe Kehrer lassen sich in luftige Höhe ziehen, um in und an ihr zu turnen. Plötzlich ein Klick, und die Kugel öffnet sich unten, vier Viertel schwingen auf und die vier Artistinnen fliegen, schweben auseinander...
Perspektivenwechsel

Für den artistischen Wahnsinn schlechthin sorgt aber Lena Glocker bei der Einrad-Nummer. Während Katharina Janecek auf einem Einrad an einem Drahtseil schwebt, Tobias Mechtler mit seinem Kreise um eine Säule dreht und Miraima Stumpf aus dieser hochgezogen wird, radelt die Erstgeannnte kopfüber. Gut eine Viertelstunde hängt sie verkehrt rum mit ihrem Einrad an einem Drahtseil.
Auch ein Symbol dieser „Augen-Blicke“ über oben, unten, dies und das selber weiter zu grübeln, denken, philosophieren...

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