Gewalt: kreativ vorbeugen

Die Angst spielt mit“ heißt eines der Stücke, das Schülerinnen und Schüler mit Profis für Macht|schule|theater entwickelt haben. Darin geht’s um Angst vor Gewalt – von körperlicher bis zu psychischer. Mit Peer-Mediation und anderen Maßnahmen setzen viele Projekte unter dem Dach der Weißen Feder – Gemeinsam für Fairness und gegen Gewalt auf langfristige Vorbeugung. Seit ein paar Jahren holt diese Initiative des Bildungsministeriums Top-Projekte vor den Vorhang.
Fairness
Am ersten Tag der Weißen Feder standen zwölf Projekte des Fairness Awards im Zentrum. Tags darauf zeigten Jugendliche Auszüge aus Stücken, die sie mit Theaterprofis bei Macht|schule|theater erarbeitet und auf die Bühne gebracht haben.
Lehrlingsprojekte
Neu zu den Weiße-Feder-Tagen gesellte sich die Initiative Kunst macht Lehre. Rund die Hälfte aller Berufsschulen in ganz Österreich hat an Kunst- und Kulturprojekten teilgenommen, was auch die Betriebe ungemein bereichert. Lehrlingsbeauftragte erklären, warum: „Wir wollen junge Leute zu engagierten, selbstbewussten und kreativen Fachkräften ausbilden. Mit solchen Projekten leisten wir einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung.“ Und dieser ganzheitliche Ansatz ist ein guter Beitrag zur Gewaltprävention.




Have you ever been hurt by somebody taller than you?“, heißt eine Zeile aus dem Weiße-Feder-Song. Getextet und komponiert von einer damaligen 6. Klasse des Brigittenauer Gymnasiums Karajangasse vor zwei Jahren (übrigens in einem Projekt mit dem Kinder-KURIER). Der Song eröffnete die Aktionstage der – nicht zuletzt künstlerischen – Gewaltpräventionsprojekte des Bildungsministeriums im MQ. Damit niemand zuschlägt, egal ob größer, älter, stärker oder… gibt’s den Fairness-Award, mit zwei Kategorien - Verhaltensvereinbarungen und Projekte sowie jeweils drei Altersgruppen: Volksschule, Mittel- und Oberstufe.
Projekte

Bei den Jüngsten fielen vor allem die allesamt in gelben T-Shirts auftretenden Kids derPraxis-Volksschule der Pädagogischen Hochschule Baden (NÖ)auf. Viele von ihnen hielten auch Stoff-Giraffen oder -Wölfe. Die Handpuppen wollen auf den Versuch aufmerksam machen, schon in der Sprache gewaltfreier miteinander umzugehen. Statt zu be- oder gar verurteilen, wird versucht, möglichst ohne Beschuldigungen auszukommen. Vom „Du (Böser) hast meine Schultasche umgeschmissen“ etwa zu einem „es ärgert mich, wenn meine Schultasche umgeschmissen wird“… Was vielleicht auch den Sieg bei den Jüngsten einbrachte ist die Tatsache, dass alle – Lernende, Lehrende und Eltern - in das Projekt einbezogen waren.

Die Volksschule Geidorf (Steiermark) setzen auf Langzeitwirkung und Nachhaltigkeit. Wie schreiben, lesen, rechnen sollen am Ende der Volksschulzeit alle über Menschen- und Kinderrechte Bescheid wissen, nicht auswendig runter„beten“, sondern im schulischen Alltag anwenden können.
Jeder Mensch hat ein Herz

Besonders beeindruckend war das Drittplatzierte Projekt derVolksschule Ansfelden (OÖ). Die Kids der vierten Klassen klinken sich schon seit Jahren ins Geh.Denken an den Todesmarsch der ungarischen Jüd_innen bei der Kremsbrücke ein. „Im zweiten Weltkrieg ist eine Mutter vor den Augen von ihrem Kind erschossen worden“, kennt etwa Patricia eine der historischen Geschichten.

„Wir bemalen Steine und legen sie am Aktionstag zur Gedenktafel, weil auf einem jüdischen Friedhof keine Blumen, sondern Steine hingelegt werden“, berichten Christina, Taylan, Livia dem KURIER. Sie wollen aber nicht nur an finstere Kapitel der Vergangenheit mahnen, sondern ziehen die Lehre fürs hier und heute. „Jeder Mensch hat ein Herz alle sind gleich, egal woher sie kommen und woran sie glauben“, erklären Irem, Berina, Nejla und Gregor die Verzierung von Schubladen mit Herzen und den Aufschriften „Schubladendenken verboten! Aus.Grenzen ist nicht erlaubt!“
Mitreißender Rap

Bei den Präsentationen ihrer „SOS Werkstatt – wir übernehmen Verantwortung“ zur Förderung der Klassengemeinschaften und friedlichen Konfliktlösung rissen vor allem die Kids aus derMusikhauptschule Weiz (Steiermark)ihre Kolleginnen und Kollegen aus ganz Österreich mit, als sie rappten, auch wenn die begleitende Pädagogin nicht ganz fair meinte, „das ist ja leider nur die Informatikklasse, die anderen hätten schöner gesungen“.

DieEuropäische Mittelschule Oberwart (Burgenland)hat Anleihe bei Harry Potter genommen. Die Schüler_innen ziehen zu welchem von vier „Häusern der Sozialkompetenz“ sie gehören. Diese sind nach Friedensnobelpreisträger_innen benannt: Bertha von Suttner, Nelson Mandela, Mutter Teresa und Henri Dunant (Begründer des Roten Kreuzes). Die Schüler_innen sammeln für ihre Häuser Punkte in Sozialkompetenz, weil die nicht weniger wichtig sein soll als lesen, schreiben, rechnen usw. In die Entstehung des Projekts und die Benennung der vier Häuser waren die Schüler_innen einbezogen.
Das Sonderpädagogische Zentrum Zirl (Tirol), Sieger unter den 11- bis 14-Jährigen, setzt auf Stärkung von Selbstwert und sozialen Kompetenzen der Jugendlichen. Leider versäumten sie die Preisverleihung, weil sie ewig lang im Zug nach Wien feststeckten. Ein zarter Hinweis, dass manche Schulen auch lange Anreisen in Kauf nehmen, während andere „ihre“ Kinder und Jugendlichen zu Hause ließen.
Film und konkrete Hilfe

Den Sieg bei den Ältesten holten sich angehende Bürokaufleute. Jugendliche der entsprechenden Wiener Berufsschule setzten sch mit Gewalt insbesondere an Kindern auseinander und drehten dazu einen Film. Sie besuchten aber auch eine Notschlafstelle obdachloser Jugendlicher und starteten in der Folge eine Kleidersammlung.
Freiwillige soziale Arbeit
Seit bereits 13 Jahren läuft am BRG Traun ein Sozialprojekt, bei dem Jugendliche der 6. bis 8. Klassen – auf freiwilliger Basis – 100 Stunden in Sozialeinrichtungen mithelfen. Was dem Projekt dieses Mal einen Preis einbrachte? „Bisher haben nicht so viele mitgemacht. In unseren jetzigen sechsten Klassen haben 30 Jugendliche – von knapp mehr als 50 – mitgemacht. Viele haben sogar in diesem Schuljahr die 100 Stunden ganz oder fast schon erreicht“, freut sich Armina Pilipović, die zusätzlich in den Sommerferien wieder in jenem Hort ehrenamtlich mitarbeiten wird, wo sie in dem Schuljahr tätig war. Den Zuwachs gegenüber Vorgänger-Klassen führt sie unter anderem darauf zurück, „dass wir auch schon früher andere Projekte wie Theater oder Tutoren-Programm für die Erstkläss’ler_innen gemacht haben“.
Verhaltensvereinbarungen
Dass Verhaltensvereinbarungen nicht null acht fünfzehn sein müssen, bewies beispielsweise die Hauptschule Mistelbach, die diese Kategorie in ihrer Alterskategorie (11 – 14 Jahre) gewann. Ausschlaggebend: Schon in die Erarbeitung des Regelwerks waren die Jugendlichen eingebunden. In der Schulaula hing ein papierener Baum. Die Blätter – mit Vorschlägen für „Gedanken und Vereinbarungen für ein gemeinsames Zusammenleben“ – sprossen von Tag zu Tag mehr.
„Lernen statt Strafen“ lautete das Motto der besten Verhaltensvereinbarung bei den Ältesten (15 – 19). Im Oberstufen RealGymnasium der Franziskanerinnen in Vöcklabruck wird versucht, bei einem Konflikt, alle Beteiligten anzuhören und einander mit Respekt zu begegnen.

Die Volksschule in Braunau-Laab (OÖ)übersetzte übrigens ihre Vereinbarungen auch in Sprachen vieler Zuwanderer_innen wie Russisch, Türkisch und Rumänisch.

Neben dem Fairness-Award und den Abschlusspräsentationen von Macht Schule Theater gab es in diesem Jahr Zuwachs bei den Tagen der „Weißen Feder“ im Wiener MuseumsQuartier. In den Hofstallungen hinter dem Museum Moderner Kunst würdigte das Bildungsministerium auch Kulturprojekte von BerufsschülerInnen. „Kunst macht Lehre“ holte fast zwei Dutzend Berufsschulen, Lehrwerkstätten und zwei Betriebe vor den Vorhang.
Instrumente und Tools

Ein Beispiel von vielen war auch live zu erleben. Jugendliche der Lehrwerkstätte von Jugend am Werk in Wien sorgten für einen mitreißenden musikalischen Auftakt. Profis spielten etwa Geige und Tuba, die Lehrlinge musizierten kreativer - mit Hammer, Feile, Holzgriffen auf einem umgedrehten großen Topf usw. „Teufel komm raus!“ nennt sich die Formation, die auch mit den Wiener Symphonikern zusammengearbeitet hatte.
Andere drehten Filme, produzierten Radiobeiträge, formten Skulpturen... In etlichen der Projekte wurde mit Künstlerinnen und Künstlern oder Kultureinrichtungen wie Museen kooperiert.
Nicht die Kleidung macht's!

Naime Sönmez, Amra Hafurić und Tanja Lercher – letztere schon ausgelernt, die beiden ersteren Lehrmädchen im Vorarlberger metallverarbeitenden Großbetrieb Collini – haben wie sie dem KURIER erzählen, „bei uns in Hohenems beim Visionscafé mitgemacht, wo's um die Zukunftsentwicklung der Stadt geht. Und wir haben auch so metall-beschichtete Bilderrahmen auf Ständern in der Stadt aufgestellt. Wir haben ein jüdisches Viertel in Hohenems. Die Rahmen sollen wie Fernrohre sein, damit man Blicke auf die andere Kultur wirft, sich darüber Gedanken macht, sich in sie hinein versetzt.“ Sich mit anderen Kulturen zu beschäftigen – dazu passten auch die T-Shirts, die Naime Sönmez und Amra Hafurić trugen: Du sollst ein Mädchen nicht nach seinem Gewand beurteilen!
Dunja-Talk
Auf eine für sie ganz andere Kulturtechnik ließen sich der Tischlerlehrling Robert Glaser und der angehende Schlosser Abdel-Rahman Al-Tobaishi ein. Mit dem Duo Gecko-Art machten sich die Berufsschüler aus Korneuburg (NÖ) auf in die Welt von Geräuschen, die sie mit Mikros aufnahmen. Dunja-Talk skizziert akustisch eine Reise entlang der Donau und wie's in rund 1000 Jahren aussehen, bzw. sich anhören könnte. „Wir haben einfach mitgemacht“, so die beiden über ihre Beweggründe der Teilnahme. Wir haben dann zum Beispiele einzelne Wassertropfen aus einem Glas auf den Tisch fallen lassen und aufgenommen oder Stimmen verzerrt, weil wir uns ausgedacht haben, dass im Jahr 3000 Fische auch sprechen können.
Hier kannst du die Beiträge hören
Und hier geht's zu einer Fortsetzung, die mit der Berufsschule Linz 9 entstand
Ganzheitliche (kulturelle) Bildung

Rund die Hälfte aller Berufsschulen hat in den vergangenen Jahren an – hauptsächlich über Kulturkontakt vermittelten – Kunst-und Kulturprojketen teilgenommen, was auch in den Betrieben nicht immer einfach umzusetzen war und ist. Aber, wie es beispielsweise der Collini-Lehrlingsbeauftragte Guntram Obwegeser aus Vorarlberg formulierte: „Wir wollen die jungen Leute zu Fachkräften für die nächsten 40 bis 45 Jahre ausbilden. Und da braucht's mehr als Fachidioten, mit solchen Projekten leisten wir auch einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, wir wollen die Lehrlinge ganzheitlich aus- und weiterbilden.“ Und dieser kulturelle, ganzheitliche Ansatz von Bildung ist – ohne es immer groß vorne drauf zu schreiben – ein guter Beitrag zur Gewaltprävention. Wer sich vielfältig ausdrücken kann, braucht nicht gleich zuschlagen.


Bereits die erste Performance der Abschlussveranstaltung zeigte ein wichtiges Element von Macht|schule|theater: Vielfalt.Die 5 Sinne, entstanden in Zusammenarbeit von Neuer Mittelschule Klagenfurt-Wölfnitz, B(R)G St. Veit an der Glan, dem Bundesinstitut für Gehörlosenbildung und dem Theater Arbos spielte ohne Worte. Die Überwindung der ausgrenzenden Menschenmauer war auch so für alle verständlich.

Spätere Ausschnitte aus Produktionen verwendeten hörbare Sprache und wurden live gedolmetscht – in Gebärdensprache. Deutsch mit Akzenten – von Vorarlbergisch bis Slawisch, Kärnternisch, Burgenländisch... war ebenso zu hören, wie ein paar Sätze auf Portugiesisch, Polnisch und Englisch inI 69186. Das Stück von Klagenfurter Ensemble und Jugendlichen der Handelsakademie sowie des BRG Stift Viktring der Kärntner Landeshauptstadt greift die Lebensgeschichte des heute 83-jährigen Rajmund Pajer auf, der mit 13 Jahren von den Nazis in einem Konzentrationslager gefangen gehalten wurde.

Gewalt in unterschiedlichsten Spielarten wurde in den insgesamt 25 Projekten in ganz Österreich aufgegriffen. Neben schon geschilderten Gewaltformen wie Ausgrenzung, KZ, wurden mehrfach auch der druck durch aufgedrängte Rollenklischees thematisiert, etwa inGirls, Girls, GirlssowieMänner und Maschinen– diese übrigens beide aus Graz; ersteres vom Mezzanintheater mit den neuen Mittelschulen Fröbel, St. Andrä und Kepler sowie der Fachschule für wirtschaftliche Berufe der Caritas und dem Mädchenzentrum Mafalda-JA.M. Letzteres, das nicht zuletzt dadurch im Gedächtnis haften bleibt, weil’s recht grindig beginnt – Rotz aufziehen und in einen Bescher schlatzen – „die Idee dazu kam einfach aus der Beobachtung bei einer Busstation“, meinten die mitspielenden Burschen.

Aber auch der Druck durch neue Medien wurde inszeniert, beispielsweise inLifebook – die Inszenierung unseres Lebens(Lungauer Kulturvereinigung, Polytechnsiche Schule Tamsweg, BG Tamsweg) oder inDas Netzwerk – und du bist nie mehr allein. Im Werk von Theater Strombomboli und Jugendlichen der Polytechnischen Schule sowie des Gymnasiums der Franziskanerinnen Hall (Tirol) wird eine Art Orwell’sches 1984 zum Quadrat geschildert und einer Art TV-Show-Format persifliert.

Körperliche und psychische Gewalt in verschiedensten Situationen im Turnsaal (immer als Videos eingespielt) und drum herum – in der Kulisse der Garderobe – spielt sich in verschiedensten Situationen ab, nicht nur zwischen Burschen und Mädchen, sondern beispielsweise auch unter Mädchen, Mobbing, einem Mädchen wird das Tagebuch entwendet und lauthals unter viel Gelächter vorgelesen, auch jene Einträge, wo sie über die Gewalt des Vaters schreibt… - das steckt inDie Angst spielt mitvon theater.wozek und Jugendlichen aus sechs Wr. Neustädter Schulen - BG Zennergasse, HAK/HaSch, BRG Gröhrmühlgasse, HLM & BaKiP (Städtische Höhere Lehranstalt für Mode und Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik), LBS (Landesberufsschule für kaufmännische Lehrlinge) und HTL.
Die Gruppe, die immerhin die Altersspanne von 13 bis 18 Jahren umfasst, ist so zusammengewachsen „wie eine richtig gute Familie“ und hat Theaterblut geleckt, „dass wir auf jeden Fall gemeinsam weiter machen wollen!“ Ähnliches ist übrigens auch von anderen Jugendlichen etwa jenen, die mit dem Grazer Theater am Ortweinplatz zusammen gearbeitet haben, zu vernehmen.
Infos

Aus einem kleinen Pilotprojekt der Zusammenarbeit von Theaterprofis und einer Wiener Schule (Gym Rahlgasse) zum Thema Amoklauf (KomA) wurde auf persönliche Initiative von Bildungsminsterin Claudia Schmied ein kontinuierliches österreichweites Projekt. In dem nun zu Ende gehenden Schuljahr wechselten mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler vorübergehend vom Klassenzimmer auf Bühnen. Mit 100 Künstler_innen von 25 Theatergruppen bzw. -häusern haben sie Stücke erarbeitet, die in 184 Aufführungen vor 13.500 Besucher_innen gezeigt wurden. Rund die Hälfte der jugendlichen Theatermacherinnen und -macher sorgte für volles Haus und tolle Stimmung in der Halle G des MuseumsQuartiers. 21 Projekte zeigten jeweils rund dreiminütige kurze Ausschnitte live auf der Bühne, einige davon als Video. Dazu gesellten sich vier Work-in-progress-Projekte, die wie die größeren Stücke auch vom Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ausgezeichnet wurden.

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