"Bühnenband" zerlegt rhythmisch die Systeme
Ziemlich dunkel. Finster. Lange Zeit tappt der Hauptdarsteller so auf der Bühne umher. Stolpert über einen Stapel alter Tonkassetten. Räsoniert über seinen dahingeschiedenen Bruder, der sein Ende selbst bestimmte, im Laufe des Stücks mehrfach als Art Geist erscheint.
Um Geist in anderem Sinn dreht sich – fast – alles. Der Bruder, Schriftsteller, hatte sich mit Systemen beschäftigt, sie seziert, zerlegt, über sie nachge- und sie zer-dacht. Schachtelweise Manuskripte darüber verfasst – bzw. sie abtippen lassen. Er sprach seine Gedanken auf weit mehr als 150 Kassetten.
Der nun angereiste Bruder, der die Finsternis zunächst immer nur für Augenblicke mittels entzündeter Streichhölzer erhellt, ist Mediziner, spezialisiert auf Erbgutforschung, also in gewisser Weise auch einer, der alles bis in kleinste Einheiten zerlegt, um Systematiken zu ergründen.
Systemkritik
Am Anfang stand die aktuelle (Wirtschafts-)Krise, die 2008 begann. „System, System, System – nie davor hab ich dieses Wort so oft gehört und gelesen“, sagt der Autor Joe Vötter zum KiKu. Daraufhin habe er sich in unzählige Theorien, Gedankengebäude und Philosophen vertieft, die in gänzlich unterschiedlichen Epochen darüber nachgedacht haben. Aus der Fülle dieses ideelen Steinbruchs baute der Autor das Stück.
Der überlebende Bruder taucht ein in die dunklen noch unerforschten Abgründe der gemeinsamen Kindheit, erwacht bei Tagesanbruch, trifft auf die Mitarbeiterin seines Bruders, die die Texte tippte. Und zwei Bauarbeiter, die das Haus gerade renovieren. Sie spiegeln, setzen fort und brechen immer wieder die Gedankenhöhenflüge auf „erdiges“ Dasein – und lassen so nebenbei anklingen, dass sie Mitglieder einer Laientheatergruppe im benachbarten Irrenhaus sind. Und dann ist da noch der schmierige Verleger, der den literarischen Nachlass übernehmen will, aber gleich mal konstatiert: „Qualität lässt sich nicht mehr verkaufen“, die Papiere des Schriftstellers seien somit nicht viel wert!
Ansatz vs. Absatz
Neben den sezierten Gedanken samt den Parallelen zwischen geistigen kleinsten Bausteinen und jenen der Natur hat der Autor noch mit anderen Bausteinen einen dritte Dimension errichtet, die seine Analyse von Systemen vermittelt – jene der Worte. Nicht nur zu Sätzen, Dialogen und Monologen – nein zu einem rhythmischen Stück Wortmusik – das durch höchst gelungenes Spiel des Sextetts lebendig wird gespielt wie von einer Sprach-Rockband und nie auch nur im Ansatz zu einer theoretischen Abhandlung verkommt. Apropos Ansatz: Der Streit des Schriftstellers mit dem Verleger kulminierte im Wortgefecht Ansatz contra Absatz.
Auf den Kopf stellen
Neben der Vielschichtigkeit grundlegender und -sätzlicher Systemkritik wird eines noch viel länger im Gedächtnis haften bleiben, das erkennende kalte Schauer über den Rücken jagt: Mehrmals wird im Stück der Gedanke von „Dinge auf den Kopf stellen“, sie von anderen Seiten her betrachten angesprochen. Und als ein Zettel mit dem Wort HASS auftaucht, wird dieses von hinten gelesen in jeweils Zwei-Buchstaben-Einheiten: SS, SA, A.H. - „wie ein Wort aus sich selbst heraus in der Welt Wirklichkeit wurde!“
Kopf im Rachen der Natur
3-Raum unterwegs
Auf der Bühne
Andreas Patton, Lilly Prohaska, Erwin Leder, Hubsi Kramar, Bernd Charabara, Sascha Tscheik
Hinter den Kulissen
Regie: Hubsi Kramar
Kostüme: Caterina Czepek
Produktionsleitung: Alexandra Reisinger
Technische Leitung: Markus Liszt
Mitarbeit: Eva Schuster
Eine Produktion des Theater SHOWinisten
Bis 30. November, 19.30 Uhr
Kommentare