Manche Nachrichten hallen nach. Am Donnerstag ist Wayne Shorter verstorben (der KURIER berichtete), und in die Meldungen vom Tod des legendären Jazz-Saxophonisten mischte sich bald der Nachhall einer Verlusterzählung anderer Art: Shorters Tod erinnert, vielleicht eines der letzten Male, an eine der größten Kulturleistungen des Menschen, an eine Ära, die von vielem sprach, das nun zunehmend unter Druck gerät: an die große Zeit des Jazz und all das, was damit gemeint war.
Längst ist der Jazz in der öffentlichen Meinungslandschaft grau angestrichen und in die Ablage gelegt worden – hört ja niemand mehr, war wohl mal wichtig, aber lange her. In Österreich hängt dem Ganzen auch noch der unscharfe Nachkriegsbegriff dessen nach, was damals als Jazz galt, und zwar alles außerhalb des Schlagers (und manchmal sogar der).
Welch fahles Echo ist diese eingegraute Erinnerung aber davon, was diese Musikform im 20. Jahrhundert gewesen ist – nämlich die in vielerlei Art wichtigste Form der Hochkultur, eine der größten künstlerischen Leistungen der Menschheit überhaupt.
Und eine Behauptung, nein: ein Beharren auf Freiheit in einer Zeit, als diese Freiheit noch allerorten erkämpft werden musste. Und nicht, wie heute mancherorts, aus dem Luxus des Vorhandenen freihändig weggeworfen wurde.
Diese Musik ist, man kennt die Geschichte, gegen schwierigste Bedingungen entstanden. Selbst Superstar Miles Davis, mit dem Wayne Shorter prägende Aufnahmen und Konzerte spielte, hatte bei Auftritten mit der damaligen Rassentrennung in den USA zu kämpfen; die Stimmung war aufgeheizt. Europa hatte es sich nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in der Konformität des Wirtschaftswunders bequem gemacht.
Spitzenleistungen
In diesem Umfeld war eine Musik, die von einer diskriminierten Minderheit ausgehend die Mehrheitskultur nicht nur ästhetisch, sondern vor allem auch intellektuell überholte und weit hinter sich ließ, ein gesellschaftspolitisches Erdbeben.
Jahrzehnte später sollte der Hip-Hop eine parallele Geschichte erzählen: Er wurde zur erfolgreichsten Populärkultur überhaupt.
Das war dem Jazz nicht beschieden. Dass diese Musik aber eben statt auf Breite auf Komplexität setzte und dahingehend bisher unerhörte Spitzenleistungen lieferte, war sogar das gewichtigere Statement: Menschen, die damals als minderwertig angesehen und gesellschaftlich ausgegrenzt wurden, stellten sich hin, legten los – und setzten dem staunenden Publikum einen Wirbel von Improvisation und Freiheit und Könnerschaft vor, der zuvor unerhört gewesen war.
Dieser Wirbel übertrug sich rasch nach Europa – und diente einer Jugend noch vor dem Rock ’n’ Roll und der Flower Power zum Anlass, sich vom Schweigen der Eltern zu emanzipieren.
Hinausbegleitet
Wayne Shorter prägte diese Kunstform, er ist einer der ganz Großen gewesen. Er hat den Jazz auch aus dieser Revolution mit hinaus begleitet, als dieser dann ins Hintertreffen geriet. Spätestens in den 1970ern wurde er von Rock, Pop, Disco und dann der elektronischen Musik aus dem Rennen um die Gunst der jungen Menschen geworfen.
Bis heute sind im Jazz Perlen an Musikschaffen zu heben. Diese stehen in einer grandiosen Tradition, die jeder Erinnerung würdig ist: Wer die Revolutionen von gestern vergisst, riskiert nämlich die Errungenschaften von heute.
Kommentare