In fester Umarmung

Er entsprach so gar nicht dem Typus des hemdsärmeligen Uruguayers, wie ihn der vormalige Präsident Pepe Mujica verkörpert. Eher hätte man ihn, seinem Auftreten nach, für einen etwas hochmütigen Intellektuellen aus Buenos Aires halten können: den Schriftsteller Eduardo Galeano, der am Montag in seiner Geburtsstadt Montevideo verstorben ist. Aber vielleicht steckte hinter seinem mimosenhaften Verhalten eine große Müdigkeit – die Folge von politischer Verfolgung, Todesangst und Verbannung.

Nicht zufällig hat er ein neues Wort kreiert, sentipensante, eine Kombination aus Fühlen und Denken, seinem Wunsch entsprechend, Verstand und Emotion miteinander zu verknüpfen. Er sah sich nicht als Analytiker, sondern als Erzähler von "Alltagsgeschichten, in denen ich jedoch den Pulsschlag des Universums zu spüren glaube."
Offene Adern

Als Hugo Chávez dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama ein Exemplar als Geschenk überreichte, stand das Buch über Wochen bei Amazon auf Platz 1. Vergangenes Jahr hat Galeano gestanden, dass er nicht mehr imstande wäre, es zu lesen, denn "diese Prosa im Stil der traditionellen Linken ist stinklangweilig".
Buch der Umarmungen
Wir lernten uns kennen, als er – schon in Uruguay, nach der Rückkehr aus dem Exil – kurze Prosastücke schrieb, die sich wie ein Mosaik aus Anekdoten und Erfahrungen zum "Buch der Umarmungen" (1989) fügen sollten. Monat für Monat schickte er mir ein paar dieser Texte, die ich für das "Wiener Tagebuch" übersetzte. Einmal kam er zu einer Lesung nach Wien, einmal trafen wir uns im Café Brasilero, seinem Stammlokal in Montevideos Altstadt.
Die zarte Freundschaft zerriss 1992 in Zürich, bei einer öffentlichen Diskussion zwischen ihm und dem kubanischen Schriftsteller Jesús Díaz. Galeano erneuerte dabei sein Bekenntnis zur kubanischen Revolution und war wegen der Vehemenz, mit der er von Díaz kritisiert wurde, schwer beleidigt. Sauer auch auf mich, weil ich als Moderator ihn nicht in Schutz genommen hatte. Jahre später trafen wir uns noch einmal, da begrüßte er mich mit ausgestrecktem Arm, um mich auf Distanz zu halten, aber ich zog ihn an mein Herz. Das Besondere an ihm war trotzdem sein Sinn für Freundschaft und seine Liebe zu Montevideo, dieser grauen Stadt am Río de la Plata, die – in seinen Worten – im Winter nach Rauch riecht und im Sommer nach frischem Brot. In der "Chronik der Stadt Montevideo" beschreibt er die Begegnung zweier Freunde, die sich lange nicht gesehen haben und ihr zufälliges Zusammentreffen feiern, bis auch die letzte Kneipe zusperrt. Immer noch ist in ihnen der Drang, einander zu erzählen, zuzuhören, beisammen zu bleiben, so dass sie sich gegenseitig nach Hause begleiten, die ganze Nacht hindurch, "wie von einem unsichtbaren Pendel hin und hergeschwenkt, einander zugetan, ohne es zu sagen, und in fester Umarmung, ohne sich zu berühren".
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