Zeitzeuge der Nachkriegszeit: Wolfgang Leonhard ist tot

Wolfgang Leonhards Leben war so aufregend wie die deutsche Geschichte, an der er beteiligt war. Einst war ihm eine kommunistische Spitzenkarriere vorgezeichnet, als er als treuer Genosse ein sozialistisches Deutschland aufbauen sollte. 1948 wandte er sich vom Stalinismus ab und wurde zu einem der kenntnisreichsten Kritiker des real existierenden Sozialismus.
Als Sowjet- und DDR-Experte war er publizistisch stets aktiv - und mit der eigenen Lebensgeschichte "Die Revolution entlässt ihre Kinder" (1955) auch Bestsellerautor. Am Sonntag ist Leonhard im Alter von 93 Jahren in einem Krankenhaus in Daun in der Eifel gestorben.
Leonhard galt als letzter Zeitzeuge aus dem innersten kommunistischen Führungskreis, der die spätere Gründung der DDR vorbereitet hatte. "Es ist nicht dasselbe, ob man von politischen Gegnern, die man bekämpft, oder von seinen eigenen Leuten umgebracht wird", formulierte er einst bitter. Die deutschen Kommunisten seien "die einzige politische Bewegung, in der ungefähr gleich viele Menschen von den Nazis und von den Stalin-Leuten in der Sowjetunion umgebracht wurden".
Leonhard verbrachte den größten Teil seines Lebens in der Eifel in Manderscheid - umgeben von mehr als 6000 Büchern über die UdSSR und die DDR, mit der Analyse des real existierenden Kommunismus.
Wladimir Leonhard hieß er zunächst. Den russischen Vornamen bekam er von seiner Mutter, der Lyrikerin Susanne Leonhard. Sie war eine enge Freundin von Rosa Luxemburg und begeistert von der Sowjetrevolution. 1925 trat sie aber aus der KPD aus, floh 1935 mit ihrem Sohn nach Moskau. Leonhard machte Karriere, wurde an der Komintern-Schule für eine spätere kommunistische Führungsrolle ausgebildet. Er wurde Sprecher im deutschsprachigen Radiosender ("Wir waren so national, wie man es heute in Deutschland kaum sein kann") und im April 1945 der "Gruppe Ulbricht" zugeteilt - geleitet von dem späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht.
Kurz vor der Kapitulation Hitler-Deutschlands wurden die Genossen nach Deutschland gebracht, um dort einen kommunistischen Staat aufzubauen. Leonhards Hoffnung, nach dem Ende des Nationalsozialismus werde es in Deutschland eine "antifaschistisch-demokratische Republik" und in der UdSSR ein freieres, toleranteres System geben, wurde enttäuscht. Stattdessen erlebte er aus allernächster Nähe, wie in der sowjetischen Besatzungszone ( Ulbricht: "Es muss alles demokratisch aussehen") tatsächlich ein stalinistisches System errichtet und die SPD mit der KPD zwangsvereinigt wurde: "Mit jedem Monat wurde es schlimmer und schlimmer."
1948 sah er in Titos Jugoslawien den Versuch, kommunistische Ideale zu verwirklichen. Im März 1949 floh Leonhard, damals Lehrer an der Parteihochschule, nach Jugoslawien. 1950 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Später lehrte er 21 Jahre (bis 1987) als Kommunismusexperte an der US-Eliteuniversität Yale. Bis ins hohe Alter war Leonhard als Zeitzeuge sehr gefragt. "Ich bin der Letzte, der die Nachkriegszeit noch ganz genau in Erinnerung hat", hatte er zu seinem 85. Geburtstag gesagt.
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