Vier Schauspieler erklimmen ihn, Felix Kammerer steigt aus dem Oscarlicht (im Film „Im Westen nichts Neues“ spielt er die Hauptrolle, der Film ist neun Mal nominiert) nach oben, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer komplettieren die Seilschaft.
Oben aber werden sie viele, sie spielen alle Hans Castorp und dazu noch das zentrale Personal aus Manns Wälzer – mit einem Kniff, den Regisseur Bastian Kraft und seine Schauspieler erstaunlich, begeisternd gut umsetzen: Cousin Joachim, Klinikleiter Hofrat Behrens, die begehrte Kirgisin Clawdia, die bildungsbelückte Frau Stöhr – sie alle werden, vorab gespielt vom Schauspielerinnenquartett, als Videos (von Sophie Lux) auf die zerklüfteten Dreiecke des Felsens projiziert. Das Stimmengewirr zu diesen Videos wiederum sprechen die Schauspieler live.
Kinoabend auf dem Zauberberg
Es gibt also Kinoabend auf dem Zauberberg. Aber wollte man nicht eigentlich weniger Bewegtbild schauen nach der Pandemie – und mehr Theater? Nach dem ersten Erstaunen über die Kunstfertigkeit dieser Livesynchronisation und die Bildmacht des Ganzen macht sich doch ein bisschen ein Beigeschmack wie nach dem Gurgeltest breit (auch, weil die Videos bald überhand nehmen und überzeichnete Fernsehspiel-Vibes ausstrahlen). Hier muss das Theater auf seiner eigenen Bühne gegen seinen größten Konkurrenten antreten – von dem man eigentlich für ein paar Stunden gern seine Ruhe hätte.
Herausgerissen aus dem Sinnieren, zurückgeholt auf den Berg wird man von einer nachgeradezu existenziellen Szene: Fiebermessen, so dekretiert die Oberschwester, dauert sieben Minuten – woraufhin die Schauspieler diese Zeit lang auf der Bühne verharren und nichts tun. Kaum zu glauben, wie schwierig diese Pause ist: Da jault die Social-Media-verkürzte Aufmerksamkeitsspanne im Zuseher laut und schmerzvoll auf.
Die Bilder verwischen sich in Folge wie die Zeit oben am Zauberberg: Moribunde sterben, Clawdia erhört Hans, beim Schneetraum steigt die Kamera hinunter in die Eingeweide des Burgtheaters, wo sich, surreal, ein kleines Abbild der großen Bühne findet.
Beklemmend heutig
Das Destillat aus den Hunderten Seiten beginnt, beklemmend heutig zu schmecken, ohne dass der Abend in die Fallen tappt, die Aktualisierungen sonst auflauern. Der unablässige Austausch feiner Befindlichkeiten unter den Sanatoriumsbewohnern wäre super Twitter-Stoff. Längst befallen vom großen Stumpfsinn jener, die zu viel Zeit für Innenschau haben, debattieren sie über Wissenschaftsfeindlichkeit, das russische Alternativsystem zur strauchelnden Demokratie und die Frage, was einen das alles eigentlich kümmern soll – und man fühlt sich mehr im Heute, als einem lieb ist. Am Schluss dann viel Applaus und große Zustimmung für einen sehenswerten Abend.
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