YouTube löscht Rap-Videos: Ist das Kunst oder muss das weg?

Ein Mann mit Maske und Schmuck steht im Mittelpunkt einer Gruppe von Menschen.
Die mittlerweile drei Jahrzehnte alte Debatte um Kriminalität und Hip-Hop wird mit neuem Leben erfüllt.

Die nette Nachricht zuerst: „Despacito“ hat die Sechs-Milliarden-Schallmauer durchbrochen. Der ehemalige Sommerhit von Luis Fonsi und Daddy Yankee zählt damit 1,9 Milliarden Aufrufe mehr als jedes andere Video auf der Plattform. 1,6 Milliarden Abrufe noch, dann hätte zumindest rechnerisch die gesamte Weltbevölkerung das Video ein Mal aufgerufen.

YouTube ist der wichtigste Verbreitungsweg für Musikvideos – jener Kunstform, in der neben den Rhythmen und Melodien auch wesentlich Images der Künstler ausformuliert werden. Aussehen und Musik sind seit jeher zwei Seiten derselben Medaille im Popgeschäft.

Was passiert also, wenn eine Musikrichtung von YouTube zensuriert wird – noch dazu auf Zuruf der Polizei?

Ernstfall

Das britische Rap-Genre Drill spielt diesen Ernstfall gerade unfreiwillig durch. Wegen der hohen Gangkriminalität, die geprägt ist von Messerstechereien und Schusswaffengebrauch, zeigen die Behörden auf einen vermeintlichen Mitschuldigen aus der Unterhaltungsindustrie: Die Drill-Artists, die in der Pose des Gangster-Rap die genretypische Litanei von Sex, Crime und Drugs in Reimform bringen, seien gefährlich, sagen die Sicherheitsbehörden.

Im Jänner beantragte Scotland Yard die Löschung von 129 Videos, weil diese Gewalt verherrlichen bzw. dazu aufrufen würden. YouTube kam der Forderung in 102 Fällen nach, wie das Magazin I-D berichtete. Der Großteil der Löschungen betraf Drill-Videos.

Damit wird die mittlerweile drei Jahrzehnte alte Debatte um Kriminalität und Rap mit neuem Leben erfüllt, die einst mit einer Posse begann: 1989 beschwerte sich das FBI bei Priority Records, der N.W.A.-Track „Fuck tha Police“ rufe zur Gewalt auf. Das Label verbreitete den Brief, woraufhin der Markterfolg neue Dimensionen erreichte. Der damals wichtigste Ausspielkanal MTV zeigte es zwar immer noch nicht, aber dafür erschienen zahlreiche Fernsehsendungen und Zeitungsartikel über das Album. Die Verkaufszahlen verdreißigfachten sich danach. Eine große Panne für das FBI und ein Testlauf für die Künstler der Straße, die sich künftig darin überboten, wessen Tracks noch mehr Tabubrüche beinhalten.

Scotland Yard beschreitet nun den gleichen Weg: Die Künstler sind so böse, dass man sie bei YouTube löschen lässt? So weckt man verlässlich das Interesse der jugendlichen Hörer. Über die Freiheit der Kunst lässt sich ohnehin immer trefflich streiten (und aus Sicht des Staates wenig gewinnen).

Bruce-Willis-Gleichnis

Die Kulturdebatte um harten Rap dreht sich tatsächlich seit Jahren um dieselben Positionen: Hier die besorgten Ordnungshüter und Aufsichtspersonen, dort die Künstler, die zu Recht darauf verweisen, dass auch ein Bruce-Willis-Film nicht zu amateurhaften Sprengungen verleite. Warum also die Pose harter Rapper ernster nehmen oder gar zensurieren?

Die Verkaufszahlen zeigen ohnehin, dass guter Elterngeschmack nicht vor schlimmen Worten und üblen Geschichten in Reimform bewahrt. Rap ist in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Musikgenre aufgestiegen. Rapper Drake führte die amerikanischen Billboard-Charts zum Jahresende an, fünf Plätze der Top Ten gingen an schwarze Künstler, die Rap oder R’n’B zuzuordnen sind.

Zugleich sind deren Songs Geschichten aus der Perspektive der Straße: Wo keine Jobperspektiven herrschen, können sich junge Leute zwischen einer Karriere als Drogendealer, Sportler oder eben als Rapper entscheiden. Und als letzterer erzählt man eben die Geschichten des eigenen Alltags. Dies zu löschen, hat den Beigeschmack der Willkür.

Kommentare