"Werther" an der Wiener Staatsoper zündet erst im zweiten Teil richtig emotional

Auf einer Bühne kniet eine Frau weinend neben einem blutenden Mann auf einem Bett.
Jules Massenets „Werther“ mit Kate Lindsey und Matthew Polenzani wieder an der Staatsoper zu hören.
Elegant und nuancenreich ist der Klang, ideal herausgearbeitet sind die musikalischen Strukturen: Wie schon öfters zuvor steht auch bei der Wiederaufnahme von Jules Massenets „Werther“ wieder Bertrand de Billy am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Allerdings gelingt es ihm erst im zweiten Teil die gewünschten Emotionen wirklich berührend zu wecken. Und er schöpft manchmal zu sehr aus dem Vollen, wodurch er es den Sängern nicht immer leicht macht.
Wiewohl sehr zurückhaltend beginnend, gefällt Kate Lindsey, wie schon in vielen anderen Rollen, auch diesmal wieder bei ihrem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper als Charlotte: Optisch wie eine Art Grace Kelly – Verschnitt hergerichtet, singt sie die Partie vor allem im zweiten Teil betörend schön, mit sanftem und innigem Ausdruck und mit reichen Emotionen zum Finale. Sie kann auch ihre unterschiedlichsten Gefühlsregungen, ihr Changieren zwischen Sehnsucht und Zerrissenheit bestens artikulieren. Allerdings wird sie vom Orchester fallweise zugedeckt.
Eine Frau in einem Kleid und Handschuhen steht auf einer Bühne neben einem Baumstamm.
Dasselbe gilt bei Matthew Polenzani als Titelheld, der mit lyrischer Emphase und absoluter Höhensicherheit den unglücklich, berührend leidenden Verliebten Werther singt. Die bekannte Arie „Pourquoi me réveiller“ gelingt ihm vortrefflich.
Ein Mann in einem Mantel steht auf einer Bühne neben einem Bett.

Clemens Unterreiner ist ein nobeltimbrierter, bewusst zynisch, kalt und unsympathisch gezeichneter Albert. Florina Ilie, ebenfalls eine Rollendebütantin, singt mit großer Reinheit eine mädchenhafte, zwitschernde, Sophie. 

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem grünen Tisch vor einer dunklen Kulisse.

Gut besetzt sind auch die kleineren Rollen mit Hans Peter Kammerer (Le Bailli), Matthäus Schmidlechner (Schmidt) und Alex Ilvakhin (Johann). Vital und fröhlich singen die Kinder der Opernschule, homogen erklingt der Chor des Hauses.

Alle finden sich in der Inszenierung von Andrei Serban aus 2005 und der Ausstattung von Peter Pabst recht gut zurecht. Die mit entsprechenden Kostümen und Mobiliar in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts verlegte Handlung - warum wird einem eigentlich nie so richtig klar - mit dem die Bühne dominierenden, weit ausladenden Mammutbaum, der durch seine Blätter die Jahreszeiten widerspiegelt, kann man mögen oder nicht. Eigentlich hat man sich schon daran gewöhnt. Unter ihm und in ihm, denn durch einen Steg ist er begehbar, läuft das tragische Zieldrama ab.
Kurier-Wertung: Dreieinhalb Sterne

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