Fast Neues aus der Wundertüte

Audrey Luna als Luftgeist Ariel: Die amerikanische Sopranistin sang das fast Unsingbare fabelhaft
Viel Zustimmung für die österreichische Erstaufführung der Oper "The Tempest" von Thomas Adès.

Die Oper "The Tempest" von Thomas Adès wurde 2004 am Royal Opera House Covent Garden in London uraufgeführt. Seither gab es Vorstellungen in Santa Fe, Frankfurt und zahlreichen anderen Städten. Die Produktion, die seit Sonntag an der Wiener Staatsoper zu erleben ist, kommt ursprünglich aus dem kanadischen Québec und übersiedelte im Oktober 2012 an die Metropolitan Opera New York – es handelt sich um eine Koproduktion dieser drei Häuser.

Wirklich neu ist diese Opernadaption des gleichnamigen Stückes von William Shakespeare, an dem sich vor dem heute 44-jährigen Briten Adès schon so viele Komponisten mit weniger Erfolg versucht hatten, also nicht. Andererseits darf man sich darüber freuen, dass eine zeitgenössische Oper nicht sofort nach der Uraufführung in den Archiven verschwindet, sondern an vielen Orten nachgespielt wird.

Poetisch

Diese längere Haltbarkeit ist mit Sicherheit darauf zurückzuführen, dass weder der Komponist noch diesfalls Regisseur Robert Lepage radikal Neues versuchen, sondern sich aus der musiktheatralischen Wunderkiste bedienen. Sinnlichkeit und Poesie sind beiden offenkundig wichtiger als Kopflastigkeit.

Insgesamt ist "The Tempest" eine raffiniert gestrickte Oper, eine Spur zu lang, die Geschichte von Shakespeare aufgrund des Librettos von Meredith Oakes stark simplifizierend, dank des Einfallsreichtums von Lepage hübsch anzusehen – alles in allem jedoch sehr retro.

Bleiben wir aber zunächst bei der Musik: Adès, der selbst am Pult des exzellenten Staatsopernorchesters steht und dieses zu einer farbenprächtigen, dramatischen und gleichermaßen sensiblen Umsetzung animiert, legt gleich beim Vorspiel effektvoll los: Sanfte Geigenklänge schwellen an, die Flöte stößt dazu, die Klarinette, dann ein Trommelwirbel – und wir sind mitten im Sturm, der den König von Neapel samt seiner Gefolgschaft an jene wundersame Insel spült, an der einst schon der verstoßene Prospero mit seiner Tochter Miranda gelandet war.

Hier greift ein Komponist ins Volle und scheut auch nicht davor zurück, sich stilistisch an allen Ecken und Enden der Musikgeschichte zu bedienen, von Barocktänzen bis zur Atonalität, von ariosen Elementen (traumhaft schön das Lied des Caliban, von Thomas Ebenstein leider weniger traumhaft schön gesungen) bis zu dissonanten Einschüben, von Blechbläser-Attacken im Wagner-Stil bis zu violin-fixierten Richard-Strauss-Juwelen. Bach trifft Berg trifft Britten – ein hübsches Sammelsurium, das im dritten Akt knapp am Kitsch vorbeischrammt. Das Problematischste an dieser Partitur ist aber die Komplexität der Gesangspartien, manche an der Grenze zur Unsingbarkeit.

Adrian Eröd, der Prospero, der am Ende der Vermählung seiner Tochter mit dem Sohn seines Todfeindes zustimmt, hat zahlreiche hohe a zu singen, bräuchte aber auch Kraft in der Tiefe. Eröd bewältigt die Spitzentöne gut, müsste aber als Typ mehr Wotan sein als Loge.

Die Partie des Luftgeistes Ariel reicht sogar bis zum dreigestrichenen g – Audrey Luna schafft das und auch die restlichen vorgeschriebenen stimmlichen Turnübungen in der extrem hohen Tessitur. Sie wurde für diese artistische Leistung zu Recht bejubelt. Andere Rollen sind zu klein besetzt – von Thomas Ebenstein (Caliban) bis zum Countertenor David Daniels (Trinculo), ganz massiv Pavel Kolgatin (Ferdinand) und leider auch Herbert Lippert (König von Neapel). Stephanie Houtzeel ( Miranda), Dan Paul Dumitrescu (Stefano) und vor allem Sorin Coliban (Gonzalo) meistern die anspruchsvollen Erfordernisse hingegen solide. Gut singt der von Thomas Lang einstudierte Chor.

Professionell

Lepage lässt die Geschichte in der Mailänder Scala spielen, wechselt geschickt die Perspektiven (1. Akt: Blick von der Bühne in den Zuschauerraum; 2. Akt: Blick auf die Bühne; 3. Akt: Zunächst Hinterbühne, dann werden Bühne und Zuschauerraum zum Schiff), kramt tief in der Trickkiste, bedient sich am Zaubertheater des 19. Jahrhunderts, setzt detailverliebt schöne Akzente und beschert der Staatsoper die professionellste Inszenierung seit Langem – obwohl er ganz der Konvention verhaftet bleibt und keinerlei aktuellen Anspruch erkennen lässt.

Die Scala ist der Rettungsanker nach allen Stürmen – Alexander Pereira wird nicht widersprechen.

KURIER-Wertung:

Fast Neues aus der Wundertüte
Audrey Luna als Ariel und Adrian Eröd als Prospero
Fast Neues aus der Wundertüte
Dan Paul Dumitrescu als Stefano, Thomas Ebenstein als Caliban und David Daniels als Trinculo
Fast Neues aus der Wundertüte
Adrian Eröd als Prospero
Fast Neues aus der Wundertüte
Stephanie Houtzeel als Miranda und Pavel Kolgatin als Ferdinand

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