Wiener Singverein wollte Prokofjew-Kantate nicht singen

Auf den ersten Blick erschien das Programm wie eine perfekte Antwort auf die ständigen Diskussionen über russische Kunst: „Musik im Umbruch. Russische Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Den ersten und den letzten Ton dieser Konzertreihe im Wiener Musikverein sollte Sergej Prokofjew haben.„Peter und der Wolf“ gab am ersten Tag den Auftakt, den Kreis hätte dessen Kantate „Alexander Newskij“ über einen russischen Nationalhelden aus dem 13. Jahrhundert schließen sollen. Mit Alain Altinoglu am Pult des HR-Sinfonieorchesters Frankfurt und dem Wiener Singverein. Doch es kam anders. Statt Prokofjews Kantate war Schostakowtischs „Fünfte“ zu hören. Das übrigens erstklassig. Zuvor Prokofjews zweites Klavierkonzert brillant mit Daniil Trifonov. Aber Cancel Culture im Musikverein?

Ja und nein. Denn Intendant Stefan Pauly nahm die Programmänderung zum Anlass, und lud zur Diskussionsrunde mit dem Altinoglu, Vertretern des Singvereins und Musikwissenschaftern.
Das Erstaunliche – die Gesprächskultur. Ohne große Emotionen wurde klargemacht, worum es geht. Um Befindlichkeiten, Emotionen eben. Denn Johannes Prinz (siehe Artikelbild), der Prokofjews Kantate mit dem Wiener Singverein bereits 2019 aufgeführt hatte, meldete während der Proben erste Bedenken. Nicht wenige Damen und Herren im Chor wollten Texte, die das Russenvolk zum Todeskampf anfeuern, nicht singen. Als klar war, dass dieser Chor das nicht aufführen werde, entschied man sich für ein anderes Werk.
Dennoch wurde erreicht, was intendiert war. Man sprach über die inkriminierte Kantate und wird das wahrscheinlich länger tun, als wäre sie gespielt worden. Pauly hat gezeigt, dass man diskutieren kann und soll. Bleibt zu hoffen, dass man das nicht allzu oft muss. Die Diskussion ist übrigens auf den Podcast des Musikvereins nachzuhören.
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