Freundschaftsanfrage an den Pop

Die klassische Musik hat sich längst der übermächtigen Umarmung des Pop hingegeben: Sie vermarktet sich nach Hitparadenlogik. Ímmer frische, gut aussehende Stars werden aufgebaut, ausgepresst und dann weggewischt, die "Klassikevents" sind auf Tournee durch die Konzerthäuser. Und Plácido Domingo singt auf seiner neuen Weihnachts-CD Duette mit Schlagerstar Helene Fischer und mit jener Sängerin, die Disneys "Eiskönigin" die Stimme geliehen hat.
Bisher weitestgehend, wenn nicht sogar übermäßig immun gegen die Verlockungen des Populären ist hingegen die zeitgenössische Kompositionsmusik, die sogenannte Neue Musik: Hier suchte man, historisch, durch Striktheit Abstand zur gefälligen Klassik. Und man grenzte sich rigoros gegenüber dem Populären und Kommerziellen ab. Das wirkt bis heute nach, auch wenn sich das Leben der Komponisten und Ensembles – und auch des Publikums – radikal verändert hat.
Eine Ausgangslage, in der das heurige Thema von "Wien Modern" durchaus Konfliktstoff, oder zumindest: ein gute Dosis Pfeffer birgt. Denn das Festival, jährliches Schaufenster der zeitgenössischen Musik in Wien, widmet sich dem Populären.
Ansage
Für den scheidenden Festivalchef Matthias Lošek ist das Thema "Pop.Song.Voice." eine "Ansage", wie er im KURIER-Interview meint. Er will zeigen, dass die einst dogmatischen Grenzen der Neuen Musik längst "ausgefranst" sind: "Diese Abgrenzungen, die von manchen Hütern des Grals verteidigt werden, stimmen einfach nicht mehr. Und wenn man sie für stimmend erklärt, dann verlieren wir uns in einem Orbit, wo wir vielleicht niemanden mehr interessieren. Das ist hart formuliert, aber ich fürchte, es ist so."
Festival-Initiator Claudio Abbado wollte mit "Wien Modern" der Neuen Musik explizit "ein breites Publikum erschließen. Dem haben wir uns unterzuordnen. "
Neues Neues
Lošek, der ab Jänner Operndirektor der Stiftung Haydn Orchester von Bozen und Trient wird, will daher bei seinem letzten Festival "nichts ausschließen". Er will die klassische Moderne, die "unbedingt gespielt werden muss", mit ganz jungen Komponisten und vielen Uraufführungen zusammenführen. Und auch auf den anspruchsvollen Pop wird ein Blick geworfen, obwohl " Wien Modern" natürlich "kein Popfestival" wird.
Das breite Spektrum (Start ist am Donnerstag) umspannt die Elektronik-Musikerin Electric Indigo ebenso wie Olga Neuwirth, Pierre Boulez ebenso wie Mittzwanziger, die Neue Musik komponieren. Unter diesen sind "Namen, die auch ich vorher nicht kannte", sagt Lošek. "Aber wo kämen wir hin, wenn wir immer nur abbilden, was wir kennen? Dann liefern wir uns einem Vorwurf aus, mit dem größere Häuser konfrontiert sind, manche sehr zu recht. Es gibt auch abseits von , Wien Modern’ eine blühende Szene, die sich mit zeitgenössischer Musik auseinandersetzt. In den Augen mancher von denen ist , Wien Modern’ vielleicht ein arrivierter Dampfer. Ich finde, es ist eine schneidige Fregatte."
Eine Fregatte, die er auch in unbekannte Gewässer geführt hatte: Vor dem "Pop" sorgten Tanz und Film als Festivalthemen für Aufsehen; vor einem fantastischen "Tanzabend" mit Neuer Musik gab es ordentlich Berührungsängste. Dass der Abend so gut funktionierte, war "einer der schönsten Momente in meinem beruflichen Leben. Weil es davor so viel gab an ,Das wird nie klappen’. Wenn jemand sagt ,Das darf man nicht’, dann haben wir es richtig gemacht."
Zeit für eine Bilanz? Das heurige Festival "ist die beste Zusammenfassung dessen, wofür ich stehe. Danach ist diese Reise absolviert. Ich bin dankbar, dass ich das machen durfte."
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