Georgsdorf hat dafür ein eigenes Vokabular entwickelt: Er spricht von der „Odience“ (von „Odor“, Geruch, und „Audience“, Publikum), er komponiert „Synosmien“ statt „Symphonien“ und inszeniert ein „Osmodrama“, ein Riechtheater.
Versuche, kulturelle Produktionen für den Geruchssinn zu schaffen, gab es immer wieder: Bereits vor der Erfindung des Tonfilms, im Jahr 1906, wurde während einer Filmvorführung Watte in eine Rosenessenz getunkt und zu Bewegtbildern einer Rosen-Parade vor einen Ventilator gehalten. Weitere Versuche folgten, darunter das System „Smell-O-Vision“ im Jahr 1960 oder John Waters’ Film „Polyester“ (1981), bei dem Rubbelkarten an einem bestimmten Zeitpunkt Gerüche freigeben sollten.
„Das Geruchskino hat aber nicht funktioniert, weil alle Versuche auf der Ebene eines Gimmicks angelegt waren“, urteilt Georgsdorf. Seine Liste der Unzulänglichkeiten ist lang: So müsse die Luft im Zuschauerraum ständig getauscht werden. Unterschiedliche Duftstoffe dürften nicht durch dasselbe Rohr geblasen werden, zudem sei es unmöglich, mit leisen Lüfterln starke Erlebnisse zu induzieren. An diesem Problem krankte zuletzt das „O-Phone“, das versprach, Geruchsbotschaften via Handy-App an ein Gerät namens „Cyrano“ zu übermitteln: Mehr als ein ferngesteuerter Lufterfrischer war es nicht.
Dennoch ist unbestritten, dass Gerüche starke Emotionen auslösen und stark mit Erinnerungen verknüpft sind. Ist ein Kunstwerk eher auf ein atmosphärisches Erlebnis angelegt, lässt sich der Geruchssinn auch leicht einbinden: Von der weihrauchdurchwehten Orgelmesse ist es nicht weit zu Hermann Nitschs Aktionen, die stets auch mit Gerüchen aller Art arbeiteten. Der Künstler Wolfgang Laib, der sein Publikum in Zellen aus Bienenwachs einlädt oder Flächen aus Blütenpollen auslegt, gehört ebenso zum multi-sensorischen Kanon wie Joseph Beuys oder Dieter Roth.
Das Ansinnen von Georgsdorf zielt jedoch darauf ab, eine Zeitachse in das ästhetische Erleben einzufügen. Sein „Smeller 2.0“, erklärt der Erfinder, schaffe bis zu 72 Geruchswechsel in 12 Minuten. Georgsdorf komponierte dabei „Geruchsspuren“ u. a. für die Experimentalfilmer Omer Fast und Edgar Reitz.
Die Gestaltung dessen, was der Künstler eine „Smellody“ nennt, lässt indessen Raum für Experimente offen: Wie ein Musikstück braucht eine Komposition nicht nur Töne, sondern auch Pausen und die Abfolge lauter und leiser Passagen. Darüber hinaus werden Sinneseindrücke von jeder Person anders decodiert: Man muss nur in die Parfumladen verschiedener Menschen schauen, um zu merken, dass ein Duft in manchen Kulturen als angenehm, in anderen als störend empfunden wird.
Parfümeure, Lebensmitteldesigner und Gestalter von Verkaufsräumen oder Wohlfühl-Lounges haben hier schon viel Wissen gesammelt. Der Eindruck, dass auch die kulturelle Sphäre dem Geruch mehr Aufmerksamkeit widmet, drängt sich aber nicht nur wegen Georgsdorfs technischer Fortschritte auf: In der Welt perfektionierter Bilder und digital auf Tonhöhe gebrachter Stimmen kommen Geruchserlebnisse einem Bedürfnis nach direkter Erfahrung entgegen, sie sind – noch – nicht digitalisierbar.
Die Game- und Virtual-Reality-Branche sei allerdings stark an Geruchsfaktoren interessiert, erzählt Wolfgang Georgsdorf. „Ich wage auch die Behauptung, dass künftige Touchscreens auch mit Gerüchen arbeiten werden.“ Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis der virtuelle Duft zur Realität wird.
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