Wenn die Kunst „trotzdem“ sagt: Die Kyjiw-Biennale gastiert in Wien

Wenn die Kunst „trotzdem“ sagt: Die Kyjiw-Biennale gastiert in Wien
Die Veranstaltung hat sich, bedingt durch den Ukrainekrieg, auf mehrere Standorte verteilt. Die zentrale Schau findet im Wiener Augarten-Atelier statt

Eine Zwischenwand im lichtdurchfluteten Ateliersaal im Wiener Augarten hat eine tiefe Fleischwunde bekommen. Die Künstlerin Georgia Sagri hat das klaffende Gebilde – eigentlich ein riesiger Vinyl-Aufkleber – dort oben festgemacht, die Wunde kann für vieles stehen.

Im Rahmen der aktuellen Kyjiw-Biennale (auf die ukrainische Schreibweise wird Wert gelegt) steht sie wohl für die Wunden der Ukraine, für die Verletzungen der Zivilgesellschaft und insbesondere für die vom Krieg schwer geschädigte kulturelle Infrastruktur des Landes, die einen regulären Ausstellungsbetrieb so gut wie unmöglich macht.

Wenn die Kunst „trotzdem“ sagt: Die Kyjiw-Biennale gastiert in Wien

Dass die Hauptausstellung der Kyjiw-Biennale – die fünfte ihrer Art – in Wien stattfindet, hat damit zu tun, dass die Stadt schon seit langem als internationaler Vernetzungspunkt für ukrainische Künstlerinnen und Künstler fungiert. Das Wiener Kuratoren-Paar Georg Schöllhammer und Hedwig Saxenhuber gestaltete 2015 federführend die erste Kyiw-Biennale unter dem Motto „The School of Kyiv“ – als von der Regierung unabhängige Initiative, die bereits auf die Maidan-Revolution und die Annexion der Krim reagierte.

Ohne Sicherheitsnetz

War diese Biennale von zahlreichen internationalen Kulturstiftungen gefördert, so musste die diesjährige Ausgabe kurzfristig und mit wenig Budget realisiert werden, wie Schöllhammer erklärt. Zugleich sei sie dauerhafter angelegt als die Solidaritätsausstellungen, die seit der russischen Invasion ausgerichtet wurden: „Wir wollten Kontinuität und so etwas wie Normalität schaffen.“

Der Parcours, den Schöllhammer/Saxenhuber mit dem Kurator Serge Klymko in dem leer stehenden Atelierbau realisierten, spiegelt diese Herangehensweise teilweise wider: Hier sind keine plakativen oder agitatorischen Kunstwerke zu sehen, viel eher stille Reflexionen darüber, was es bedeutet, wenn die Weltlage das Schaffen kultureller Dinge erschwert oder verunmöglicht.

Wenn die Kunst „trotzdem“ sagt: Die Kyjiw-Biennale gastiert in Wien

Sehr oft findet dieses Nachdenken seinen Ausdruck in schlichtem Material: Etwa in Mehlsäcken, die unauffällig an einer Ecke lehnen – und auf denen die Deklaration der Menschenrechte in verschiedenen Sprachen aufgedruckt ist. Die Ukrainerin Alina Kleytman zeigt biomorphe, an Cyborgs erinnernde Skulpturen und eine Glocke aus umgearbeiteten Leichensäcken. Das Kollektiv „DE NE DE“ wiederum arbeitet nach der Art von Archäologen, indem es Überreste von Kulturbauten, die meist noch aus der kommunistischen Zeit stammen, bewahrt und dokumentiert: In der Schau ist ein rußgeschwärzter Luster aus einem Kino in Dnipro zu sehen.

Wenn die Kunst „trotzdem“ sagt: Die Kyjiw-Biennale gastiert in Wien

Infrastruktur

„Hier geht es mindestens genauso sehr um Kunst wie um Infrastruktur“, erklärt Vasyl Cherepanyn, einer der Mitbegründer der Biennale, mit Verweis auf die zahlreichen Kulturbauten in der Ukraine, die seit der russischen Invasion zerstört wurden. 291 hat die UNESCO vor Kurzem verifiziert, das ukrainische Kulturministerium spricht von über 760 Zerstörungen.

Die Wiener Räume sind also die Hülle für eine immaterielle Infrastruktur: Da nicht nur Arbeiten ukrainischer Künstler, sondern Werke verschiedenster Herkunft aufeinandertreffen, gibt es Ideenaustausch. Die Stimmung ist freilich düster – ein schwarzes Malewitsch-Quadrat, vom Kroaten Mangelos zur „Landschaft des Todes“ erweitert, beschließt den Parcours. Und doch gibt die Schau Hoffnung, dass in dieser Landschaft immer wieder etwas wächst.

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