"Was uns verbindet": Familie kann so viel mehr sein als Vater, Mutter, Kind

Eine Mutter liegt mit ihren Kindern im Bett und kuschelt.
Carine Tardieus berührendes Drama um Selbstbestimmung und Empathie mit Valeria Bruni Tedeschi.

Von Gabriele Flossmann

Zu Beginn des Films bemerkt die von Valeria Bruni Tedeschi ebenso einfühlsam wie eindringlich gespielte Sandra: „Nachbarn können einem das Gefühl geben, zu Hause schrecklich allein zu sein, selbst wenn man es liebt, allein zu sein. Vielleicht, weil man durch die Wände den Soundtrack eines Familienlebens hört…“ 

Die etwa 50-jährige Sandra führt ein unabhängiges Leben als Besitzerin einer feministischen Buchhandlung und hat mit allen Mitteln für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Doch als sie im Laufe des Films immer tiefer in das Leben ihrer Nachbarn hineingezogen wird, verändern sich Sandras Träume und Vorurteile, und sie lernt das angeborene Bedürfnis nach menschlicher Verbundenheit kennen. 

Ein nächtliches Klopfen an ihrer Tür ändert alles. Die hochschwangere Cécile braucht sie, um auf den sechsjährigen Elliott aufzupassen, während sie und ihr Mann Alex ins Krankenhaus zur Entbindung fahren. Sandra, alleinstehend und bewusst kinderlos, ist verlegen und unsicher, erklärt sich aber bereit, sich um den Buben zu kümmern. Er erweist sich als pflegeleicht und aufgeweckt, und so kommen die beiden ganz gut zurecht. 

Von einem Moment auf den anderen ist alles anders

24 Stunden später steht Alex wieder vor Sandras Wohnungstür. In Tränen. Cécile hat die Geburt ihres zweiten Kindes nicht überlebt. Obwohl Sandra von Natur aus zurückhaltend und sehr unabhängig ist, berührt sie die Notlage des so plötzlich verwitweten Alex, der nun auch noch ein Neugeborenes allein großziehen muss. Sie bleibt also auch in den folgenden Wochen die wichtigste Bezugsperson für den kleinen Elliott. Der Vater ist zunächst wenig erfreut. Aber im Laufe von zwei Jahren entwickelt Sandra tatsächlich eine immer engere Beziehung zu Alex, Elliot und Baby Lucille. Sie wird auch mit der Mutter der Verstorbenen – Elliotts Großmutter - vertrauter.

Warmherzig, aber nicht kitschig

Kompliziert wird es, als der geschiedene erste Mann der verstorbenen Cécile auftaucht. Denn er ist Elliotts leiblicher Vater. Auch ihm kommt sie menschlich nahe. Wobei die Anzahl einschneidender Ereignisse, die Sandra während 104 Filmminuten mit der Nachbarsfamilie erlebt, erschöpfend werden kann.

Der Film hätte leicht in ein kitschiges Melodram abdriften können, wären da nicht die komödiantischen Einfälle und das einfühlsame Interesse am Innenleben der Figuren. Der warmherzige, lustige und intelligente Film entwickelt sich zu einem unaufgeregten Drama über menschliches Zusammenleben, das auf emphatische und sensible Weise mit Themen wie Trauer und Verlust umgeht und es eindrücklich schafft, den Begriff der Familie neu zu definieren.

Was uns verbindet (L'attachement). F 2024. 104 Min. Von Carine Tardieu. Mit Valeria Bruni Tedeschi, Pio Marmaï, Vimala Pons, Sissi Dupar.

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