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Kultur

Was ich liebte - Von Siri Hustvedt

Ein Buch über Kunst, über die Menschlichkeit und über die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern, schwankend zwischen Liebe und Verzweiflung.

02/14/2012, 02:29 PM

Ein Buch über Kunst, über die Menschlichkeit und über die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern, schwankend zwischen Liebe und Verzweiflung. Es ist auch die Geschichte von zwei Paaren, angesiedelt in der Kunstwelt von SoHo in New York. Ich-Erzähler ist Leo Hertzberg, Professor für Kunstgeschichte und verheiratet mit der elf Jahre jüngeren Erica. Hertzberg lernt den Künstler Bill Wechsler kennen, der sich bald von seiner Frau, der Lyrikerin Lucille trennen wird. Seine im Lauf des Romans immer wichtiger werdende neue Partnerin ist die Soziologin Violet, die über Mode-Krankheiten arbeitet, etwa Massenhysterie im 19. Jahrhundert oder Magersucht in unserer Zeit. Sowohl Erica und Leo als auch Lucille und Bill werden zu Eltern: Matt und Mark werden geboren. Kunst und Kinder führen bald zu einer sich über Jahre vertiefenden Freundschaft. Doch die Söhne werden zum Quell von Trauer und Trennung: Matt stirbt mit 11 Jahren bei einem Unfall, Mark entwickelt sich zu einem notorischen Lügner und Dieb, zu einem unreflektierten, die Welt nur durch sein eigenes Ego betrachtendes Monster.

Siri Hustvedts 2003 erschienener Roman setzt in den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein und endet am 30. August 2000. An diesem Tag schließt der Ich-Erzähler Leo Hertzberg, mittlerweile halbblind und kurz vor der Pensionierung stehend, seinen Lebensbericht ab. „Was ich liebte“, dieser Titel ist wortwörtlich zu nehmen: Der Kunsthistoriker spricht von den Menschen, aber auch von den Dingen, die für ihn das Wichtigste waren: Maler wie Piero della Francesca oder Francisco de Goya, Bills Gemälde und Installationen. Leos Gedanken über Kunst wirken deshalb im Roman auch nie professoral oder ermüdend – denn man spürt tatsächlich seine Liebe zu ihr. Und durch die nie plakative Kritik an seichten, aber publicity-trächtigen Auswüchsen der Kunstszene, die einzig von Blut und Gewalt leben, gewinnt der Roman zusätzliche Dimensionen. Zentrales Thema bleibt aber der Konflikt zwischen Eltern und Kindern. Selten ist die Ohnmacht der Erwachsenen eindringlicher und ehrlicher beschrieben worden. Wie reagieren Väter und Mütter, wenn ihr Sohn ins Grässliche abrutscht, und sie ihn nur „ . . . in den Wechselfarben eines Chamäleons“ erleben und nicht zum wahren Ich ihres Kindes vordringen können? Leo Hertzberg gibt darauf eine ratlose, ernüchternde Antwort: „Am Leben zu sein, ist unerklärlich, dachte ich. Das Bewusstsein ist unerklärlich. Nichts auf der Welt ist normal.“

Siri Hustvedt, der 1955 geborenen Amerikanerin mit norwegischen Eltern, ist mit „Was ich liebte“ ein Meisterwerk gelungen. Ihre Wahl, mit dem Ich-Erzähler in eine männliche Rolle zu schlüpfen, erweist sich als ebenso gelungen. Durch diese zusätzliche Brechung gewinnt die Beziehung der Geschlechter, das Spannungsverhältnis von Müttern und Vätern ebenfalls an Intensität. Hustvedt ist seit 1982 mit dem Schriftsteller Paul Auster verheiratet und lebt mit ihrer gemeinsamen Tochter und Austers Sohn aus erster Ehe in Brooklyn. Neben „Was ich liebte“ dürfte der 1992 erschienene Roman „Die Verzauberung der Lily Dahl“ ihr bekanntestes Werk sein. Zuletzt erschien 2011 mit „Der Sommer ohne Männer“ ein ebenso frecher wie kluger Frauenroman.

Mit „Was ich liebte“ schaffte die Autorin nicht nur einen thematischen, sondern auch stilistisch großartigen Spagat: Siri Hustvedt schrieb eine Geschichte, die gleichzeitig voller Gefühl und Schönheit, aber auch verstörender Düsterheit ist.

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