"Vlaemsch (chez moi)": Sightseeingtour in der Grauzone

von Silvia Kargl
Zwischen Utopie und der Wirklichkeit, zwischen Geschichte und Gegenwart bauen der flämische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui und seine in Antwerpen beheimatete Compagnie Eastman Brücken.
Besonders gut ist ihnen das in „Vlaemsch (chez moi)“ gelungen, das als österreichische Erstaufführung und Eröffnungspremiere der neuen Intendantin Bettina Masuch am Freitag im Festspielhaus St. Pölten für ein volles Haus sorgte. Ein gelungener Einstand, entspricht der Abend doch ganz einem zentralen Motiv von Masuchs erster, im Festspielhaus stark auf Tanz bauenden Spielzeit:
Umarmung.

Cherkaoui zeigt Konflikte der Zeit auf, aber auch die große Kraft des Theaters, auf das Publikum zuzugehen. Das Stück kreist um die Suche nach Identität und Heimat, beide sind in „Vlaemsch (chez moi)“ stark von der Geografie geprägt, aber mindestens genauso von diversen, kulturellen Identitäten. Die kommen in der vorwiegend grau getönten Szenografie von Hans Op de Beeck von den Menschen, die sie mit Leben füllen.
Oft schweren, dramatischen Situationen stehen ein nie enden wollender Bewegungsfluss, geradezu eine Leichtigkeit in der Choreografie gegenüber, von den Tänzerinnen und Tänzern von Eastman hervorragend getanzt. Jede und jeder darf in diesem Bühnenraum das sagen, tanzen und singen, was sie und er fühlen.

Neue Traditionen
Da gelingt ein starkes Bild unserer Gesellschaft, das über Flandern weit hinaus reicht. Tableaux vivants bringen die Kunst, für die Flandern seit Jahrhunderten berühmt ist, in die Gegenwart.
Traditionen spielen eine große Rolle, doch es dürfen in einer pluralistischen Gesellschaft neue daraus entstehen. Édouard Manets berühmter „Kleiner Pfeiffer“ fällt aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart.
Dazu kommen Themen wie die Ausbeutung der Kolonien, auch eine humorvolle Sightseeing-Tour durch Belgien. Neben der Malerei spielt die von Floris De Rycker und Tsubasa Hori zusammengestellte und live dargebotene Musik eine große Rolle. Auch auf dieser Ebene gelingt auf Basis der Polyphonie eine Durchdringung von Altem und Neuem.
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