Israelischer Dokufilmer zur Situation: "Wir sind am Arsch"

Der bekannte israelische Filmemacher Avi Mograbi hat sich am Sonntagnachmittag bei einem ruhig verlaufenen Publikumsgespräch auf der Viennale skeptisch über eine nachhaltige Waffenruhe im Nahen Osten geäußert. Im Zusammenhang mit seinem erneut beim Festival gezeigten Dokumentarfilm übte er massive Kritik an der israelischen Besatzungspolitik der letzten Jahrzehnte. Hoffnung auf eine baldige Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern hat er nicht.
Es sei alles sehr fragil und man könne sich leider nicht auf die politischen Führer im Nahen Osten verlassen, erklärte Mograbi mit Verweis auf erneute israelische Luftangriffe im Gazastreifen, zu denen es am Sonntag nach einem Angriff auf israelische Truppen gekommen war. "Wir sind von einer anderen etwas verrückten Person (US-Präsident Donald Trump, Anm.) abhängig und wir werden sehen, ob er genug davon hat und ob er weiterhin interessiert bleibt oder nicht", erklärte der Filmemacher in einem Gespräch mit der österreichischen Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann im Kino des Wiener Künstlerhauses.
Mograbi: Alle israelische Regierungen an Landraub beteiligt
Vor dem Gespräch hatte die Viennale wie bereits 2021 Mograbis Dokumentarfilm "The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation" ("Die ersten 54 Jahre - Eine gekürzte Anleitung für militärische Besatzung") aus dem Jahr 2021 gezeigt, in dem sich Mograbi auf Grundlage von Interviews mit ehemaligen israelischen Soldaten mit teils sehr fragwürdigen militärischen und polizeistaatlichen Mechanismen der Besatzungspolitik Israels im Westjordanland und im Gazastreifen seit 1967 beschäftigt. Alle israelischen Regierungen hätten sich seit damals an Landraub beteiligt, klagte er mit Verweis auf israelische Siedleraktivitäten. Der Transfer von Bevölkerung in und aus besetzten Gebieten sei zudem ein Kriegsverbrechen, betonte er.
In seiner dreißigjährigen Karriere sei dies sein erster Film gewesen, den alle israelischen Filmförderstellen, alle israelischen Fernsehsender und alle israelischen Filmfestivals abgelehnt hätten, erzählte er. Da er jedoch große Mittel für die Bewerbung des Films auf Facebook verwendet habe, hätte der Film dennoch Millionen Menschen in der Region erreichen können, berichtete der 1956 geborene und derzeit in Portugal lebende Regisseur, der selbst aus einer prominenten israelischen Familie stammt.
Initiative sammelt auch Zeugenaussagen zu "Genozid in Gaza"
Die im Film verwendeten Interviews mit Soldaten waren ursprünglich für die 2004 von Mograbi mitbegründete Initiative "Breaking the silence" ("Das Schweigen durchbrechen") entstanden. "Wir sind derzeit auch sehr beschäftigt, Zeugenaussagen in Bezug auf den Genozid in Gaza zu sammeln", erzählte er. Gleichzeitig berichtete er über neue Gesetze in seiner Heimat, die die Aktivitäten seiner besatzungskritischen Initiative behindern sollen.
Keinen Zweifel ließ der Regisseur an der äußerst verfahrenen Situation zwischen Israelis und Palästinensern, die selbst ihm trotz seiner bekannten politischen direkte Kontakte etwa zu im Westjordanland lebenden Palästinensern schwer machten. "Wir sind am Arsch", charakterisierte er in derber Sprache.
Plädoyer für Wahlrecht für Palästinenser
Ohne sich explizit auf die Ein-Staaten-Lösung, einen gemeinsamen Staat von Israelis und Palästinensern, festlegen zu wollen, plädierte er als Utopie zur Lösung des aktuellen Konflikts dafür, den Palästinenserinnen und Palästinensern ein Wahlrecht zu geben. "Eine Person, eine Stimme", forderte der Israeli.
Kommentare