"Viel gelacht, trotz düsterer Thematik"

Zehn Begegnungen mit zehn Überlebenden, zehn Geschichten und eine Heimat – Die Wiener Kommunikationswissenschafterin Diana Gregor hat mit heim.at.home eine wunderbare App entwickelt, die die Stärken neuer Technologien zur berührenden und innovativen Geschichtsaufarbeitung nutzt. heim.at.home stellt zehn österreichische Holocaust-Überlebende vor, die heute in New York leben und eine gemeinsame Heimat haben. Und zwar: Wien.
Das von Gregor ins Leben gerufene Projekt begleitet die User auf eine sehr persönliche Reise durch das Leben jüdischer Zeitzeugen und ist dabei niemals betulich, mitleidig oder gar lehrmeisterhaft. Ganz im Gegenteil. Der bekannte Schriftsteller Frederic Morton, der in Wien-Hernals aufgewachsen ist, erzählt von Mannerschnitten und Lady Gaga und Walter Feiden flirtet schon fast mit seiner charmanten Gesprächspartnerin. Sie alle sprühen nur so vor Lebensfreude. Aber der Weg von der Verfolgung zur Aussöhnung war nicht immer leicht.
Ein Quäntchen jüdischen Witzes

Die App-Entwicklerin Diana Gregor hat selbst fünf Jahre in New York gelebt und auch heute noch vermisst sie die Stadt "jeden Tag ein bisschen, es fehlt einfach". Die bürokratischen Hürdenläufe, die für den Aufenthalt notwendig waren, bereut sie jedoch keineswegs. Und außerdem: "Es gibt weitaus unangenehmere Szenarien, als in eine Stadt wie Wien zurückkehren zu dürfen." Schließlich ist Wien auch ihre Heimat. Das hat sie gemeinsam mit Renée Wiener, Frederic Morton oder der wunderbaren Stella Joslin. Wenn Diana Gregor von ihren Gesprächspartnern erzählt, gerät sie ins Schwärmen. "Es sind ganz wunderbare, beeindruckende Menschen, von denen wir nicht nur in Hinblick auf Geschichte, sondern auch hinsichtlich der Lebenseinstellung unendlich viel lernen können. Und ich bin auch immer wieder völlig baff, wie lustig die alle sind. Deren Sinn für Timing und Pointen ist unschlagbar - wahrscheinlich steckt in ihnen wirklich das wesentliche Quäntchen jüdischen Witzes... Wir haben jedenfalls unheimlich viel gelacht, trotz der sehr düsteren Thematik."
Die Idee war es den Verlauf dieser individuellen Geschichten nachzuzeichnen. Die unterschiedlichen Stationen zwischen Wien und New York. Erzählungen aus dem KZ oder dem Kinderheim in London können einem da schon ziemlich nahe gehen. "Selbst wenn ich heute - zum x-ten Male - die Portraits durchsehe, muss ich an manchen Stellen schlucken und den Kopf schütteln. Wenn ich an Stella denke und ihre Angst im Kinderheim vergewaltigt zu werden oder Walter, der als Vollwaise und Jugendlicher in drei Lagern sein musste oder Kurt zuhöre, wie er inbrünstig Wiener Lieder singt... Kalt lässt mich keine einzige der Schilderungen", erzählt Gregor.
Eine Stimme mit Bestand
2007 schrieb Gregor ihre Dissertation zum Thema "Sprache als Heimat - Über jüdische Identität" und führte schon damals Interviews mit Holocaust-Überlebenden, die zunächst aus Wien vertrieben wurden und dann trotzdem wieder zurückkehrten. Dafür sprach sie unter anderem mit Arik Brauer, Gerhard Bronner und Otto Tausig. "Heute - da viele der von mir interviewten Überlebenden nicht mehr am Leben sind, bin ich umso glücklicher, dass ich ihnen im Rahmen meiner Arbeit eine Stimme verleihen konnte, die Bestand hat und bleibt."
Ist es nicht schwierig all diese unterschiedlichen Geschichten zu ordnen? "Ja, es ist nicht einfach, diese Dinge gefasst in sein System aufzunehmen, aber zum einen muss man sich immer vor Augen halten, dass ein Gespräch für die Überlebenden oft eine Katharsis ist und für einen selbst eine kostenlose Geschichtsstunde, die so nie wieder vorkommen wird. Zum anderen tut man etwas, das nachhaltig für Nachkommende Generationen steht und hilft. Wenn man sich daran festhält und zusätzlich mit Menschen zu tun hat, die unheimlich humorvoll, lebensbejahend und zufrieden wirken, geht es eigentlich sehr gut."
heim.at.home
Die kostenlose App heim.at.home schildert anhand von berührendem Videomaterial, großartigen Fotos von US-Fotograf David Plakke, ausführlichen Biographien, Zitaten und Graphiken die Geschichten von zehn Holocaust-Überlebenden. Die App ist sowohl für iPad als auch iPhone anwendbar.
Im Herbst erscheint auch ein Buch zu dem Projekt heim.at.home von Diana Gregor.
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