Julia Roberts auf dem Filmfestival Venedig: MeToo, Monster und Maschinen

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Julia Roberts unterrichtet Philosophie in einem MeToo-Drama, der „Squid Game“-Star Lee Byung-hun verliert seinen Job, und Christoph Waltz bastelt in Guillermo del Toros „Frankenstein“ mit.

Wie jedes Jahr belagern auch heuer wieder treue Fans des Filmfestivals den roten Teppich vor dem Kinopalast am Lido. Um ihren Platz zu markieren, haben viele ihre Schirme mitgebracht – was sich als praktisch erweist, weil man damit nicht nur glühenden Sonnenstrahlen, sondern auch unfassbare Regengüsse, die sich in regelmäßigen Abständen über der Lagunenstadt ergießen, abwehren kann. Deutlich verstärkt wurden am ersten Wochenende die Sicherheitsvorkehrungen: Anlass dazu war eine angekündigte pro-palästinensische Demonstration unter dem Motto „Stoppt den Genozid“. Festivalchef Alberto Barbera wies Vorwürfe zurück, er würde dem Konflikt in Gaza nicht genügend Raum einräumen, betonte aber gleichzeitig, dass auf seinem Festival Meinungsfreiheit herrsche und er keine Gäste wegen ihrer politischen Überzeugungen ausladen würde. „Wonder Woman“, gespielt von der israelischen Schauspielerin Gal Gadot, sagte ihre Teilnahme jedoch ab (der KURIER berichtete).

Dafür besuchte zum ersten Mal in ihrem Leben Julia Roberts das Filmfestival in Venedig. Sie kam gemeinsam mit dem italienischen Regisseur Luca Guadagnino, in dessen MeToo-Drama „After the Hunt“ (Kinostart: 17.10.) sie die Hauptrolle spielt.

Roberts verkörpert eine Philosophie-Professorin namens Alma, deren Kollege und bester Freund von einer Studentin (Ayo Edebiri aus der Serie „The Bear“) des sexuellen Übergriffs bezichtigt wird. Obwohl Alma große Stücke auf ihre Doktorandin hält, kann sie die Vorwürfe nicht so recht glauben und stürzt in eine tiefe Krise.

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Julia Roberts gerät in eine MeToo-Krise: „After the Hunt“.

Bei der Pressekonferenz zum Film musste sich Roberts gleich der Frage stellen, ob „After the Hunt“ nicht anti-feministische Positionen aufgreife, wonach die Aussage von Frauen in Zweifel gezogen werden müssen. Diesen Vorwurf ließ Roberts nicht auf sich sitzen: Es gehe darum, eine Diskussion in Gang zu bringen und Fragen aufzuwerfen in einer Gesellschaft, die die Kunst der Auseinandersetzung verloren habe.

Tatsächlich hinterlässt „After the Hunt“ ein unbefriedigendes Gefühl – nicht nur, weil er die beiden Frauen gegeneinander ausspielt, sondern auch, weil das akademische Milieu in seiner Beschreibung brüchig, die handelnden Personen darin aber undurchsichtig bleiben.

Nervig

Julia Roberts und der des Übergriffs beschuldigte Andrew Garfield bekommen ihre Rollen nicht überzeugend in den Griff und wirken als Figuren eher behauptet als echt. Besonders Garfield neigt zum vordergründigen Over-Acting, dessen Emotionsausbrüche sich mehr nervig als tragisch anfühlen. Man kann Regisseur Guadagnino zugutehalten, dass er einfache Schuldzuschreibungen vermeidet und nach komplexeren Wahrheiten sucht. Dafür hätten seine Figuren aber mehr Tiefgang benötigt, um in ihrer Widersprüchlichkeit zum Leben zu erwachen.

Bemerkenswert in seiner Rolle als geduldiger Ehemann ist jedenfalls Michael Stuhlbarg: Wenn er von dem Konflikt zwischen seiner Frau und ihrer Studentin die Schnauze voll hat, dreht er einfach die Musik so laut auf, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht – auch nicht im Publikum. Diese Methode verfolgt übrigens auch eine Figur in der mitreißenden Gesellschaftssatire des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook – aufmerksamen Kinogehern vielleicht wegen seines Rachemärchens „Old Boy“ oder der Schönheit seines Films „Die Taschendiebin“ in Erinnerung.

Netflix kündigen

In Parks Wettbewerbsbeitrag „No Other Choice“ spielt der koreanische „Squid Game“-Star Lee Byung-hun den Familienvater Man-su, der unvermutet von seiner Firma hinausgeworfen wird. Begründung: „Wir haben keine andere Wahl“. Radikale Sparmaßnahmen für ihn und seine Familie werden getroffen („Wir müssen Netflix kündigen!“), sogar das Eigenheim steht auf dem Spiel. Um sich selbst die besten Chancen bei der nächsten offenen Stelle herauszuschlagen, beginnt Man-su die stärksten Mitbewerber auszuforschen und aus dem Feld zu räumen.

Park ist ein Meister darin, die Intensität seiner exzessiven Gesellschaftssatire lauter und leiser zu drehen wie ein Musikstück im Radio. Manchmal schlägt er leise, zärtliche Töne an, etwa, wenn Man-su mit seiner Frau einen Tanz einübt. Dann wieder wird es schrill, wenn Man-su sein prospektives Opfer in dessen Haus aufsucht. Die Begegnung der beiden beginnt komisch und klamaukhaft, findet aber einen plötzlichen Höhepunkt in einer Balgerei, die von ohrenbetäubend lauter Musik begleitet wird. Und am Ende ist einer tot.

Zuerst will man gar nicht glauben, dass es der nette Man-su mit seinen Mordabsichten wirklich ernst meint. Doch Park fackelt nicht lange: Die Notwendigkeit, auf einem brutalen Arbeitsmarkt einen Job zu finden, verwandelt den freundlichen Familienvater in einen entschlossenen Killer. Nicht ganz unähnlich seinem koreanischen Kollegen Bong Joon-ho und dessen antikapitalistischem Klassenkampf-Drama „Parasite“, spitzt auch Park Chan-wook seine Gesellschaftssatire zwischen krasser Komödie und Harecore-Thriller zur scharfen Kritik an der modernen Arbeitswelt zu. Am Ende ist Man-su ganz allein in seinem Job: Seine einzigen Kollegen sind Maschinen.

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Oscar Isaac bastelt  Monster: Guillermo del  Toros „Frankenstein“. 

Übermensch

Österreichische Filme finden sich heuer keine im Wettbewerb von Venedig, dafür glänzen heimische Schauspieler in internationalen Produktionen: Christoph Waltz und Felix Kammerer, zum Beispiel. In der dröhnenden „Frankenstein“-Version des dreifachen mexikanischen Oscarpreisträgers Guillermo del Toro, trifft Waltz als reicher Waffenproduzent im Fuchspelz auf den Wissenschafter Victor Frankenstein (Oscar Isaac) und dessen blassen Bruder William (Kammerer). Frankenstein ist davon besessen, einen Übermenschen mit ewigem Leben zu bauen. Gemeinsam mit Harlander plündert er Schlachtfelder und bastelt aus Leichenteilen sein Monster zusammen. Del Toro wirft zwar effektvoll seine bewährte Gothic-Horror-Erzählmaschine an, doch richtig zum Leben erwecken kann er seinen „Frankenstein“ nicht.

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