Umjubelter Einstand für Kusej in München

Der gebürtige Kärntner
Martin Kušej beginnt seine Ära als Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels mit einem großen Publikumserfolg: Es gab langen, begeisterten Applaus, viel Jubel und viele Bravos (vor allem für Hauptdarsteller Tobias Moretti und Kušej. Das gefürchtete Münchner Publikum hieß den neuen Intendanten und das neue Ensemble (das alte hatte Kušej rausgeschmissen) herzlich willkommen.
Aber auch aus Österreich waren viele Kritiker und bekannte Theaterfreunde gekommen. Matthias Hartmann (er wurde Kušej als Burgdirektor vorgezogen) sah sich glänzend gelaunt jenes Stück an, das vor wenigen Tagen an der Burg durchgefallen war: "Ich lese, wir sind angeblich Konkurrenten. Da muss ich doch nachsehen, was er macht!" Ebenfalls im Publikum: Helga Rabl-Stadler, die Burgschauspieler Nicholas Ofczarek und Martin Schwab oder Theaterfreundin Heide Schmidt.
Gespenster
Martin Kušej inszenierte in seinem Haupthaus, dem
Residenztheater, eines der großartigsten und bösesten Stücke der Dramenliteratur, Arthur Schnitzlers "Das weite Land". 1911 uraufgeführt, ist es ein ewig gültiges Zeitenwendestück. Bevölkert von auf den Tod von sich selbst gelangweilten, aus der Zeit gefallenen Gespenstern. Die Form der Kommunikation ist das Spiel, egal ob Tennis (bei Kušej offenbar ziemlich gewalttätig, denn die Personen kommen reichlich ramponiert vom Court zurück), Billard, Sex oder Duelle per entsicherter Sprache oder entsicherter Pistole.
Immer nur Spiel, ohne Konsequenz, nicht einmal der Tod hat hier Belang. Und das Leben ist hier wahlweise "tragisch", "sehr amüsant" oder "zum Totlachen". Die Hauptfigur, der alternde Fabrikant und Frauenheld Hofreiter, drückt es so aus: "Das Leben ist eine komplizierte Einrichtung, aber interessant." Interessiert, aber teilnahmslos, wie ein Wissenschaftler, beobachtet Hofreiter, wie er andere und letztlich sich selbst zerstört.
Hauptmotiv dieses Stücks ist die Sehnsucht im Widerspruch zur Gewohnheit. Hofreiter sagt, Beziehungen sollten mehr auf Sehnsucht beruhen denn auf Gewohnheit. Wenn die Sehnsucht nach weniger Gewohnheit zu groß wird, muss man irgend etwas besteigen, eine gefährliche Felswand oder die Frau eines anderen. Andere Figuren haben Sehnsucht nach Ehrlichkeit, nach Vertrauen, nach Treue, nach einem verlorenen Menschen. Manche sehnen sich sogar - nach Gewohnheit.
Psychologie

Kušej inszeniert das alles - entgegen seinem Image als Wüterich - fast konventionell, sehr psychologisch (manchmal fast zu psychologisch, als wollte er etwas beweisen). Ab und zu wird ein Rock gelüpft, mehr an Deftigkeit passiert nicht.
Für das Heftige ist diesmal nur Kušejs langjähriger Bühnenbildner Martin Zehetgruber zuständig: Da wuchert der Trauerweidenurwald, da prasseln die Regenwände, da wird der "Aignerturm" zur Kletterhalle, da spielt der Hotelakt in einer Felsentrümmerhalde auf leerer Bühne.
Tobias Moretti ist ein starker, interessanter Hofreiter, weil er nicht nur das die Jugend fressende Raubtier gibt, sondern auch Schwäche andeutet. Juliane Köhler ist als seine Frau Genia fast zu salonhaft elegant und vor allem zu verhärmt. Großartig ist Markus Hering als von seinen Mitmenschen angewiderter und sich doch nach Liebe verzehrender Arzt Maurer. Ein Höhepunkt ist August Zirner als geisterhafter Hotelier Dr. Aigner. Britta Hammelstein ist als junge Erna wenig überraschend sehr sexy und hormongebeutelt. Auch Gerhard Peilstein als ewig betrogener Bankier Natter hat starke, sarkastische Momente.
In anderen Rollen wird deutlich weniger überzeugend gearbeitet.
Ein keineswegs perfektes (Perfektion ist auch ziemlich langweilig in der Kunst), aber sehr starkes "Weites Land" - das jedoch an die singuläre Inszenierung von Andrea Breth in Salzburg 2002 nicht heranreicht.
KURIER-Wertung: **** von *****
Fazit: Ein starkes "Weites Land"
Stück
Der Fabrikant Hofreiter ist entsetzt von seiner Frau: Sie verweigerte sich trotz ihrer Zuneigung einem Pianisten, der sich deswegen das Leben nahm. Die Tugendhaftigkeit seiner Frau distanziert sie von ihm, dem notorischen Seitenspringer, der sich selbst nur in Extremsituationen als lebendig erfährt. Als sie es ihm doch noch gleichtut, reagiert er zufrieden, tötet aber doch seine schwindende Jugend in Person ihres Liebhabers.
Regie
Psychologisch-dichtes Porträt einer verwesenden Gesellschaft.
Spiel
Unterschiedlich.
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