Ulrich Seidl: Erster Einblick in "Paradies"
Eine Premiere für die Viennale und eine rare Gelegenheit für das Publikum: Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl (58) gewährte am Mittwochabend im Wiener Stadtkino einen Einblick in seine Arbeitsweise und dabei einen Ausblick auf seine drei kommenden Filme, die ursprünglich ein Episodenfilm hätten werden sollen. Doch das Projekt unter dem Titel "Paradies" wuchs auf mehr als 90 Stunden Filmmaterial an, weswegen Seidl nun beschloss, "dass die beste künstlerische Lösung drei Filme sein werden". Die rund 50 Minuten an Rohschnitt-Auszügen des Work in Progress und der Regisseur selbst wurden herzlich gefeiert, im kommenden Jahr soll die Trilogie veröffentlicht werden.
Drei Frauen
Seidl rückt drei miteinander verwandte Frauenfiguren ins Zentrum seiner Episoden: In "
Sugar Mama" begibt sich Teresa auf Sextourismus nach Kenia, in "Wandermuttergottes" zieht Teresas schwer katholische Schwester Anna Maria missionierend von Haus zu Haus, und in "Melanie" sehen wir ihre übergewichtige Tochter im Diätcamp, wo sie den dort stationierten Arzt zum Subjekt ihrer Begierde erklärt. Die Themen seien "ein Kompendium aktueller Brennpunkte", fasste der Filmjournalist Stefan Grissemann auf der Bühne zusammen, von Rassismus und Sexismus bis hin zu Religionskonflikten und Pädophilie. Seidl wiegelte ab, dass er seine Filme nicht nach aktuellen Themen gestalte: "Mich bewegt es, über Frauen etwas zu erzählen."
Auch wenn das projizierte Material Videocharakter hatte und bisher weder Farbabstimmung noch Tonmischung aufwies, so bekamen die Zuseher dennoch einen guten Eindruck dessen, womit sich Seidl in den vergangenen Jahren seit "Import Export" (2007) beschäftigt hat. Dass "Paradies" einen solchen Umfang annehmen würde, war dennoch nicht geplant: "Meine Art Filme zu machen ist vergleichbar mit einer Reise, die man tut, und bei der man nicht genau weiß, wie lange diese Reise dauern wird und wo man hinkommen wird", erläuterte der Regisseur, der auch sein eigener Produzent ist. "Es gibt keinen Tag X, an dem etwas fertig sein muss - ich lasse mich vom filmischen Prozess leiten."
Laien und Profis
Seidl arbeitet in den drei Filmen wieder sowohl mit professionellen Schauspielern (u.a. Margarethe Tiesel, Maria Hofstätter) als auch mit Laien, mit viel natürlichem Licht und dokumentarischen Stilmitteln, mit zwar genauem Drehbuch, wie er erklärte, aber ohne vorgegebene Dialoge: "Man kann und muss immer mit dem Zufall rechnen." Er sei nicht darauf angewiesen, dass geschriebene Szenen in den Film kommen, verlasse sich dagegen vielmehr auf Improvisation und daraus erwachsende Überraschungen. So entstanden wieder einprägsame Szenen, etwa wenn sich "Sugar Mama" Teresa in
Kenia mit einem der sich anbietenden "Beach Boys" auf Intimitäten einlässt oder Anna Marias Hausbesuch auf Knien vor dem Sterbebett der Mutter endet.
Die Inspiration zu der Geschichte über drei Frauen lieferte im Übrigen eine der sechs Episoden aus "Hundstage" (2001), erzählte Seidl, der von Grissemann und Co-Moderator Claus Philipp mit Samthandschuhen, aber sehr unterhaltsam durch den Abend geführt wurde. Ein einziges Mal hätte es richtig spannend werden können, als sich der Filmemacher von einem Vergleich seiner Arbeitsmethode mit modernen Reality-Formaten im Fernsehen leicht provoziert fühlte, aber auch in diesem Fahrwasser schließlich souverän blieb: Er trage die Verantwortung für die Menschen vor der Kamera, betonte Seidl, schließlich gehe es nicht darum was, sondern vor allem, wie man etwas filme. Er versuche im Wesentlichen "zu zeigen, dass niemand aus seiner Haut heraus kann - ohne darüber zu werten oder zu urteilen."
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