Tracey Emin: "Wo sind Schieles Erotikfotos?"

Kaum jemand ist schubladisierter als die britische Künstlerin Tracey Emin. Die mittlerweile 51-Jährige, die in den 1990ern als Teil der "Young British Artists" weltberühmt wurde, gilt vielen immer noch als "Enfant terrible" der Kunstszene; ihre umstrittene Installation "My Bed" (1998) – ein ungemachtes Bett, mit Kondomen und blutiger Unterwäsche – scheidet auch heute noch die Geister. Im Leopold Museum kann der Schubladendenker nun seine Sicht auf Emin erweitern: Die Künstlerin hat sich intensiv mit Egon Schiele auseinandergesetzt und stellt ihm eigene Arbeiten gegenüber. Ein "Dialog zweier schubladisierter Künstler", wie Emin sagt.
Das kann man ja mal wörtlich nehmen:
KURIER: Was würden Sie gerne mit Schiele besprechen, wenn Sie mit ihm reden könnten?
Tracey Emin: Dass ich endlich wissen will, wo er seine erotischen Fotos versteckt hat! Es gibt Hunderte Fotos von Schiele, aber keine erotischen. Ich kann nicht glauben, dass er keine gemacht hat. Denn viele seiner Zeichnungen schauen aus, als wären sie über ein Foto gelegt und abgepaust worden. Sie sind zu perfekt, zu manieriert. Offensichtlich, weil er fotografierte. Die würde ich gerne sehen. Ich würde ihm gerne sagen: Steh’ mehr zu dir, lass’ dir nichts einreden. Denn du wirst bald sterben. Sei wirklich sorgsam damit, was du zurücklässt.
Sie wollen ihn davor warnen, dass er eine touristische Kunstikone werden könnte?
Ich bin in Wien spazieren gegangen, und da war so ein Klimt-Touristengeschäft. Das wird mir nie passieren. Denn ich habe die Rechte an meinem Namen; die können keinen "Emin-Shop" aufmachen. Selbst wenn ich tot bin, ist das noch unter Kontrolle. In meinem Kopf hatte ich wirklich diese eigenartigen Dialoge mit Schiele.
Er muss da ein wenig im Nachteil sein, er ist fast 100 Jahre tot.
Ich wurde gefragt, wie man zu Schieles Werk stehen kann, wenn man Feministin ist. Ganz einfach: Weil es heute ist und nicht 1915! Schiele ist 1918 jung gestorben, er konnte seinen Zugang zur Kunst, seine Wahrnehmung der Frauen nicht verändern. Ich zeige seine Arbeiten auf neue Art, damit wir neu darauf schauen können.
Sie selber haben zuletzt immer wieder betont, dass das Älterwerden, die Veränderungen Ihres Körpers, Ihrer Psyche, auch Einfluss auf Ihre Kunst haben.
Ja, und stellen Sie sich das einmal vor: Der 60-jährige Schiele, was für ein Künstler wäre der 1950 gewesen? Ich glaube, er wäre letztlich nach New York gegangen. Wen er dort getroffen hätte – Mondrian zum Beispiel. Wäre Schiele dort abstrakter Expressionist geworden?
Der Titel Ihrer Ausstellung deutet in Ihre Zukunft als Künstlerin: "Where I Want To Go", wo ich hin will. Wohin wollen Sie?
Ach, wissen Sie: Als ich 15 war und erstmals diese Schiele-Bilder anschaute, wusste ich auch nicht, dass ich mal hier sitzen und eine Schiele-Ausstellung gemacht haben würde. Es war mein Selbstbewusstsein, meine Zielstrebigkeit, meine Hartnäckigkeit, die mich hierher gebracht hat. Ich habe diese Ausstellung selbst angeregt – das ist ein bisschen peinlich. Aber wenn ich nicht gefragt hätte, wäre es nie passiert! Und es ist brillant, dass es geklappt hat.
In der Ausstellung ist eine Ihrer Neonarbeiten zu sehen: "More solitude", mehr Einsamkeit steht da. Muss man die suchen?
Unbedingt. Man kann kein Künstler sein ohne Einsamkeit. Ich könnte gerade jetzt ein Bild von Ihnen skizzieren. Aber ich wüsste nicht, warum ich das täte. Um das herauszufinden, braucht es Einsamkeit. Sonst ist man nur ein Bildermacher.
Sie aber sind eine erfolgreiche Künstlerin, deren Gemälde 400.000 Euro erzielen. Dennoch sagen Sie: als männlicher Künstler bekommt man bessere Preise. Wird sich das je ändern?
Es muss sich ändern. Aber es wird 60 Jahre brauchen. Vielleicht beschleunigt es sich. Es gibt so viele Künstlerinnen in den 40ern, wenn die 70, 80 sind, wird es wirklich spannend. Übrigens gibt es eine gute Ausnahme: In Brasilien sind die Hälfte der bestbezahlten 20 Künstler Frauen. Weil es dort bisher keinen Markt für zeitgenössische Kunst gab, keine Künstler, die als gutes Investment bekannt sind. Die Sammler – viele davon Frauen – kaufen auf diesem neuen Markt, was sie spannend finden. Und vieles sind Arbeiten von Frauen.
Die Künstlerin
Tracey Emin ist eine der bekanntesten Künstlerinnen. Sie arbeitet in vielen verschiedenen Materialien, u.a. Zeichnungen, Installationen und Neonarbeiten. Ihre Installation "My Bed" sorgte 1999 für große Aufregung. Zuletzt erzielte das Werk bei einer Auktion 2,5 Millionen Pfund.
Die Ausstellung
"Tracey Emin/Egon Schiele. Where I Want To Go", bis 14. September im Leopold Museum
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