Tiroler Festspiele Erl: Mit schlafwandlerischer Sicherheit

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Donizettis „Lucia da Lammermoor“ szenisch und Bellinis „La sonnambula“ konzertant: Beide Produktionen beeindrucken mit tollen Stimmen

Von: Helmut Christian Mayer

Sie gilt als eine der diffizilsten Belcanto-Rollen überhaupt: Jene der „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti. Nicht für Sara Blanch, denn die Sopranistin begeistert in dieser Titelpartie der Oper, die jetzt bei den Tiroler Festspielen in Erl zu erleben ist. Sie ist eine ungemein flexible Lucia, die problemlos alle extremen Schwierigkeiten des Koloraturgesangs bewältigt und speziell in der „Wahnsinnsarie“ mit allen kaum singbaren Höhen und Nuancen brilliert. Dabei muss sie, von der Regie verordnet, teils über die Bühne flitzen, ohne in Atemnot zu geraten. Dabei wird sie von einer Krankenschwester am Arm verbunden, und es wird ihr das Blut aus dem Gesicht gewischt.

Wunderbarer Reichtum

Aber auch ihre stimmlichen Mitstreiter können sich hören lassen: So verfügt Kang Wang als ihr Geliebter Edgardo über einen dunklen, stimmkräftigen Tenor mit allen Höhen, der aber mit Lucia teils recht gewalttätig umgeht. Noch brutaler agiert jedoch Lodovico Filippo Ravizza als ihr kraftvoll singender Bruder Enrico. Adolfo Corrado gibt einen noblen Priester Raimondo. Die kleineren Partien und der hauseigene Chor singen großteils makellos.

Asher Fisch als Chefdirigent des Orchesters musste wegen einer Schulterverletzung kurzfristig absagen. So wird der wunderbare Reichtum der lyrischen Musik vom Orchester der Tiroler Festspiele Erl unter dem hauptsächlich auf Sicherheit bedachten, exakten Einspringer Sesto Quatrini teils etwas zu spannungsarm, aber immer sängerfreundlich und klangschön wiedergegeben.

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Realität und Fiktion verschwimmen in Erl: Die Patientin hört im Radio die Oper – und dann wird sie zur Lucia.

Es kommt nicht so selten vor, dass sich Regisseure vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dieser Oper scheuen. Nicht so Louisa Proske. Allerdings ist ihre Konzeption, die sie ihr als Rahmenhandlung überstülpt, recht eigenwillig: Denn schon von Anfang an liegt eine namenlose Patientin angebunden in einem Bett hinter einem Fadenvorhang einer Nervenanstalt und wird von einem Pflegepersonal betreut. Sie wehrt sich dagegen und bäumt sich immer wieder auf. Als sie in einem Radio die Oper hört, verschwimmen Realität und Fiktion – und sie wird zu Lucia. Der Sog zieht sie immer mehr in den Plot hinein und lässt sie auch vor einem Logentheater auftreten. Und immer wieder kehrt sie in das omnipräsente Bett zurück. Aber nicht nur von ihr, auch vom gesamten Ensemble wird Spielfreude und Bewegung verlangt. Jubel!

Höllisch schwere Partie

Aber auch am nächsten Tag fand im Erler Festspielhaus ein wahres „Belcanto Fest“ statt, bereits das zweite Mal im Winter unter der Intendanz von Jonas Kaufmann, mit einem extrem hohen Niveau der Protagonisten: Allen voran besticht in „La sonnambula“ Jessica Pratt als topsichere Amina. Da sind alle Spitzentöne, alle Koloraturen dieser höllisch schweren Partie glasklar und mühelos zu hören.

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Konzertant: Giacomo Sagripanti, Levy Sekgapane, Jessica Pratt.

Mit nie gefährdeter Höhe und bestechender Phrasierungskunst ist der junge, lyrische Tenor des Levy Sekgapane, eingesprungen für den erkrankten Francesco Demuro, als Elvino zu genießen. Adolfo Corrado ist ein Graf Rodolfo, der sich mit seinem warmen Bassbariton und männlicher Anziehungskraft als echte Liebesalternative empfiehlt. Sarah Dufresne lässt in der Rolle der Rivalin Lisa einen durchschlagskräftigen, allerdings teils etwas scharfen Sopran und Valentina Pernozzoli als Teresa einen etwas zu undifferenziert lauten Mezzo vernehmen. Solide: Pawel Horodyski als Alessio.

Giacomo Sagripanti am Pult des Orchesters der Festspiele agiert temperamentvoll, aber immer sängerfreundlich. Da ist detaillierte Feinarbeit und Transparenz erkennbar, es gelingt ihm, aus dem Werk federnden Impetus herauszuholen. Obwohl konzertant angekündigt, wird an der Rampe eifrig gespielt. Stehende Ovationen!

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