Nachgelesen. Wenn man nicht aufpasst, wird jedes Vorurteil erfüllt. Denn was wird das schon sein, das die Nutzer einer Videoplattform für gute Literatur halten? Sicher Liebesdrama, Young-Adult-Eindimensionalität und Kitsch, denkt man.
All das ist, zugegeben, Teil eines der größten Hits auf Booktok: Colleen Hoovers Bestseller „Nur noch einmal und für immer“ ist die Art Buch, bei dem Eltern und Lehrer mit zusammengebissenen Zähnen so etwas hervorpressen wie „Hauptsache, die Kinder lesen überhaupt“.
Man ist beim Nachlesen aber unsicher, ob das stimmt. Es geht um eine junge Frau, Lily Bloom, die namensadäquat einen Blumenladen hat und zwischen zwei Männern steht: Der eine taucht genau dann wieder auf, als der andere in der Beziehung gewalttätig wird. Das hat die junge Lily (es gibt Rückblenden) bei ihren Eltern schon traumatisiert, und wenn sie nicht mehr weiter weiß, schreibt sie Briefe an Moderatorin Ellen DeGeneres.
So weit, so gut, nicht alles muss originell sein.
Aber „It Ends With Us“ (so der Originaltitel) leistet dem Lesen einen Bärendienst: Die ganze Story ist eine fast offensiv platte Attrappenschieberei, eine Verengung dessen, was Literatur eigentlich sein könnte: Alles wird ausbuchstabiert, jede Wendung mit der Brechstange vorbereitet, das Buch leidet an fataler Erklär- und Beschreibungssucht.
Wer sich beim Lesen in Fantasie schulen will, ist hier grundfalsch. Aber es ist ein Riesenerfolg, der mit Blake Lively als Hauptdarstellerin verfilmt wird, das Nachfolgebuch („It Starts With Us“) ist auch schon da. Und nein, nicht alles ist so trübe, was auf Booktok ein Hit wird: Hochkomplex, toll geschrieben und lesenswert ist R. F. Kuangs „Babel“ rund um zaubernde Oxford-Übersetzer (klingt schräger, als es ist, ähnlich im Genre ist „The Atlas Six“ von Olivie Blake). Es gibt Neuschreibungen von griechischen Klassikern („The Song Of Achilles“ und „Circe“ von Madeline Miller). Und der hochtalentierte Ocean Vuong landete mit „Time Is a Mother“ zu Recht einen Hit.
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