Thomas Stangl will wissen, was "dazwischen" ist

Thomas Stangl will wissen, was "dazwischen" ist
Der neue Roman des Wieners heißt "Fremde Verwandtschaften": Mit 45 merkt ein ratloser Architekt, dass er kein Zuhause hat

„Fremde Verwandtschaften“ ist dichter, nicht nur wie bei Martin Walser ein Brief  an eine Unbekannte oder, aktuell bei Botho Strauß, ein Bild von der dummen Welt.
Der Wiener Thomas Stangl bleibt  zwar dabei, dass ihm generell eine „pure Geschichte“ zu langweilig sei. Ihn interessiere mehr, was sich daneben ereignet, was dazwischen ist. (Sein Roman „Regeln des Tanzes“ war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.)
Was aber in seinem  neuen Roman etwas anders ist: Es herrscht mehr Bewegung. Man bewegt sich durch ein Leben, durch Träume, durch eine afrikanische Stadt.
 Ein Wiener Architekt ist zu einem internationalen Kongress in ein westafrikanisches Land eingeladen worden. Beim Empfang in der deutschen Botschaft wird „Auf, auf zum fröhlichen Jagen“  gesungen. Nicht wenige Teilnehmer sind peinlich berührt.
Die Vorträge sind ... unspannend, und da ist Stangl in seinem Element: Der Blick des Architekten bleibt im Nacken einer Kollegin  hängen, mit der er einmal Sex hatte. Nun stellt er sich vor, jemand stranguliere sich während eines faden Vortrags mit der Kette seines Akkreditierungsschildes.
Bei solchen Gedanken kann man verweilen. Es muss  längere Zeit in diesem Sprachkunstwerk verweilt werden. Sonst wirkt es nicht.
Auch die Verwandtschaft von Chilischoten mit Städten sowie von Hühnern mit  Häusern wird beschäftigen.
Der Architekt ist verheiratet, hat Tochter und Sohn, hat ein Häuschen im Wienerwald, einen toten Bruder, einen toten Vater ...  aber er hat kein Zuhause.
Dumm ist das, wenn man Mitte 40 draufkommt.  Er ist ratlos. Teilnahmslos ist er auch. Pläne, die er in seinem Atelier anfertigte, gaben ihm Halt. In Afrika aber verliert er zusehends den Boden unter den Füßen.
Zitat: „Wo bin ich, was ist mein Ort, wann ist jetzt. Wann ist mein Ort, wo ist jetzt.“
Thomas Stangl macht keine Spaßettl und keine Show. Er meint seine Arbeit sehr ernst. Zwischendurch macht er deutlich, dass es nicht nur dem Architekten so geht, sondern auch ihm, dem Architekten dieses Romans. (Geht’s denn jemandem anders?)
Man kann sich selbstverständlich trotzdem mit einem guten Krimi von – sagen wir: Andrea Camilleri zurückziehen. Aber wissen sollte man es schon: Thomas Stangl ist der Größte unter den vielen unbekannten österreichischen Schriftstellern / Dichtern.
Und wäre der 52-Jährige bekannter, no, dann wäre er einer der Größten unter den bekannten.

 

 


Thomas Stangl:
„Fremde
Verwandtschaften
Droschl Verlag.
272 Seiten.
22 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

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