"Der Talisman" in Stockerau: Ein Nestroy wie damals (wann auch immer das war)

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Nestroys großer Theaterhit mit Christoph Fälbl als Titus Feuerfuchs.

Selbst bei Nestroy sagte eine Pause oft mehr als alle Worte: Man weiß ja, dass in die höchsten Positionen zum Glück immer nur die Besten, Klügsten und Talentiertesten kommen, wird auf der Bühne augenzwinkernd gerufen, und es da ja gar nicht auf Äußerlichkeiten und Beziehungen ankommt. 

Pause, Blick ins Publikum, in dem sich zur Premiere vom "Talisman" bei den Festspielen Stockerau einiges an lokaler und Wiener Prominenz versammelt hat. Und dann viel ertapptes Lachen bei einem sonst eher liebevoll-freundlichen denn angriffigen Nestroy-Abend, der am Schluss wohlwollend akklamiert wurde.

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Nestroy, man hat das schon erlebt, kann man auf verschiedenste Art theatralisch verordnen - und natürlich auch einnehmen: Als bissige Persiflage aufs heutige Personal, als hochkulinarisches Sprachvergnügen, das seine pfeffrige Schärfe in kunstvollen Wortpirouetten umspielt, als zutiefst österreichisches Welttheater.

Oder auch als niederschwelliges Unterhaltungsangebot, das für sich selbst und von sich selbst spricht, wie in Stockerau - und aus dem das Publikum mitnehmen kann, was es gern will. Die Gesellschaftssatire ist hier in heiter-sommerliche Wortwatte verpackt, es geht ebensoviel um die Liebes- und Verkleidungswirren wie um die Brutalität, mit der die Gesellschaft das Andersartige ausspuckt.

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Christoph Fälbl ist dabei ein Titus Feuerfuchs mit viel sprachlicher Situationselastik und kurzer Lunte: Vielleicht ein, zwei Mal zu oft tauscht man hier das Wienerische Lavieren durchs Leben gegen eine aus der Zeit gefallene Prügelankündigungsfreude ein. Aber das ist nur ein kleiner Einwand - man zeigt hier einen Nestroy zum Kennenlernen und Wiedersehen als fröhlich-leichte Sommerkost.

Bei der sind auch die andernorts oftmals hübsch ins Heute geholten Couplets recht unverfänglich, sie drehen sich um zeitlos Zwischenmenschliches. Ein heutiges hat man sich aber doch erlaubt, das Fälbl - "das ist ganz neu" - vom Zettel abliest. Vom Trump und vom Grasser hat man nämlich scho gnua, und ausgerechnet das eine politische Couplet erntet die größte Zustimmung.

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Rundherum gibt es viel zu schauen: Unter dem höchsten Kirchturm Niederösterreichs hat Bühnenbildner Manfred Waba ein Städtchen in die Stadt gestellt, das den Platz kunstvoll umschließt. In der Mitte ein überwuchertes, sich zur richtigen Zeit öffnendes Häuschen, in dem Titus auf seinem perückengestützten Weg nach Oben der Reihe nach die Damen mit Worten um den Finger wickelt.

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Claudia Rohnefeld als überdrehte Gärtnerin Flora Baumscheer, Nadja Maleh als rasch zerschmelzende Kammerfrau Constantia und Ulli Fessl - nach 61 (!) Jahren Pause als Frau von Cypressenburg wieder bei den Festspielen Stockerau - ermöglichen dem Schwerenöter den Einstieg zum Aufstieg. 

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Haarfarbenverwirrungen und Eifersüchteleien - Intendant Christian Spatzek spielt einen schön verhuschten Marquis -, Wortwitz und Dialektfreuden, Kostümwechsel und Liedeinlagen inklusive. 

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Wobei der Aufbau dieses Kartenhauses der vielen Täuschungen besser gelingt als dessen Zusammenbruch - und das, was dann folgt. Titus wird vor der Pause enttarnt, danach gibt es dann den Dreh inklusive Geldsegen (Stephan Paryla-Raky als reicher Vetter Spund), Läuterung und Liebe (Caroline Vasicek ist als Salome Pockerl eine geglückte Erscheinung). Aber da läuft die Aufführung dann ein wenig jener Spannung nach, aus der sich bei Nestroy der Witz ergibt.

Am Schluss ist dann alles gut, die Haare von Salome und Titus sind immer noch rot, aber die Bühnengesellschaft ist zumindest ein bisserl klüger geworden. Dann muss man leider wieder in die echte Welt.

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