Bernhards "Auslöschung" im Burgtheater: Über dem Abgrund wird einem schwindelig

Acht Personen in Tracht stehen auf roten Stufen, umgeben von Jagdtrophäen, Blumenkränzen und Dekorationsgegenständen.
Therese Willstedt lässt die Hauptfigur Murau in "Auslöschung" achtfach auftreten - das hat man zuletzt zwar öfters gesehen, funktioniert hier aber.

Man wagt gar nicht, denkt man sich, und verfällt dabei gleich in die typische Thomas-Bernhard-Selbstbeobachtungsprosa, man wagt also gar nicht, sich auszumalen, was Thomas Bernhard zum heutigen Österreich sagen würde. 

Längst hat sich aus dem Nestbeschmutzer-Unsinn, mit dem Bernhard in den 1980ern rund um die "Heldenplatz"-Affäre, aber nicht nur da, immunisiert werden sollte, das herausgeschält, was der Autor eigentlich war: ein Verzweifelter - an den hiesigen Verhältnissen, an der hiesigen Verlogenheit, an der hiesigen Intellektuellenfeindlichkeit, der letztlich nur in höllisches Lachen über das alles verfallen konnte. Nun ja, man könnte den Eindruck gewinnen, dass nichts davon sich verbessert hat. 

So hat sich denn immerhin eine Sorge nicht bewahrheitet, mit der man am Donnerstagabend ins Burgtheater ging: Dass nämlich Bernhards finale Schlussrechnung, die er unter dieses Land gezogen hat, seine "Auslöschung", aus der Zeit gefallen sein könnte. Im Gegenteil.

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Vorweg: Dieser Schauspielerabend hätte ein Monolog sein können. Regisseurin Therese Willstedt hat das gemacht, was sie schon bei "Orlando" im Akademietheater gemacht hat und was im Moment die Rückfallposition im Stefan-Bachmannschen Burgtheater ("Hamlet" und so weiter) zu sein scheint: Sie hat den Herrn Murau in acht Figuren zerhauen. Das ist ein schöner Trick, um Monologisches, vor allem bei Romanadaptierungen, in Richtung Theater aufzuhübschen, ist aber ganz nah dran, vom modischen Element zur Fast Fashion zu werden.

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Diesfalls changiert das Ensemble aber auf durchaus beglückende Art zwischen distanziert zitierenden Bernhard-Wortlawinen und der Verkörperung all jener Anklage-Formen, die dieser wütend-verzweifelte Dauer-Keppler über das Land und seine Menschen ausbreitet. Man gibt einander die Wortstaffel in die Hand und führt vor, was aus diesem Ausnahmetext alles herausgespielt werden kann. 

Jörg Ratjen hält einzelne Wörter und Passagen unters Mikroskop, fährt sie hoch und dann wieder runter, Norman Hacker lässt den Vater auf die ländlichstmögliche Art in den Wald fahren, Lilith Hässle verkörpert den Selbstekel und den Ennui des Murau, der selbst ganz genau weiß, dass er angesichts seines Familienpersonals gar nicht anders kann, als die Menschen zu hassen, aber damit immer wieder recht behalten würde.

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Allein für Seán McDonaghs Suada über die beklemmende Widerlichkeit des Verrats, den die Menschen in der NS-Zeit einander angetan haben knapp vor der Pause lohnt sich der ganze Abend: Hier tritt der tödlich Verzweifelte aus den vielen Wörtern und den langen Sätzen hervor, man hört selbst mit betroffener Bitterkeit hin. Der beste Freund verriet einen Dorfbewohner an die Nazis, und niemand sprach nach dessen Rückkehr aus dem KZ und dem Kriegsende jemals mehr darüber, sagt er, mit einer Mimik nah an diesem Abgrund, der sich hier unter dem Land und seiner Geschichte auftut. 

Und der derzeit mit einer geradezu unbekümmerten Nachlässigkeit überbaut wird, denn was geht dieses Land seine Vergangenheit heute noch an, wenn doch die politische Opportunität ganz andere, fruchtbarere Kampfesfelder etwa im ausführlich instrumentalisierten Anti-Antisemitismus eröffnet? 

Die Bühne lässt einen schwindlig werden. Das Buch steht wie eine Reliquie im Zentrum, immer wieder zeigen die Schauspielerinnen und Schauspieler auf dieses. Seht her, ein Buch! (Seht her, soetwas Langes, Komplexes, Wahrhaftiges haben wir einmal gelesen!) 

Dahinter eine kafkaesk steile rote Treppe, auf der sich nach der Ankunft Muraus in Wolfsegg mit Donnersound und Nebelschwaden ein Setzkasten des Ländlichen - Lederhosen, ausgestopftes Tierwerk - auftut. 

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Später werden hier die Särge der tödlich verunglückten Eltern und des tödlich verunglückten Bruders herumgeschoben; es wird geschrien und gewimmert und gekreischt und vor allem viel und toll gespielt (neben den Genannten auch von Aaron Blanck, Alexanda Henkel, Andrea Wenzl, Ines Marie Westernströer).

Es gibt gar nicht wenig zu lachen - mit diesem Bernhard'schen Unterton. Schwächer sind die Szenen, die die stählerne Heiterkeit des Volkstanzes ironisieren sollen. 

Am Schluss dann die Auslöschung: Murau schenkt Wolfsegg, dieses oberösterreichische Nazischloss mit seiner belasteten Geschichte, der israelitischen Kultusgemeinde. Daran ist unmittelbar und unerwartet interessant, dass der Paukenschlag, den Bernhard damit in eine ganz andere Zeit hineinsetzte, denkt man sich, auch heute wieder einer ist, wenn auch in anderen Kontexten. 

Die aufgepropften Schlussworte dazu, dass alles zerfällt, hätte man da gar nicht mehr gebraucht. Man weiß das. 

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