Ein Film meint’s verzweifelt gut
Wenn man in Cannes erfolgreich sein will, muss man eine Marke sein. Markenartikel gibt es hier viele, die Frage ist nur, handelt es sich gerade um Dior oder Dardenne? Um Mode, Film oder Schmuck? Oder nur um ein Auto, mit dem man auffallen will? Wie der Panzer, den Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone durch Cannes steuerten.
Regisseure wie Ken Loach (dessen neuer Film heute bei den 69. Filmfestspielen gezeigt wird) oder die französischen Dardenne-Brüder haben Sozialrealismus erfolgreich zu ihren filmischen Markenzeichen gemacht.
Buhrufe
Die Brüder, die bereits zwei Palmen im Regal haben, setzten diesmal auf die umwerfend uneitle Marion Cotillard. Die hat "Zwei Tage, eine Nacht" lang Zeit, ihre Arbeitskollegen zu überzeugen, dass sie auf den Jahresbonus verzichten. Nur dann wird sie nicht gekündigt, nur dann darf sie ihren Job behalten. Geld oder Würde, ist also die Frage. Marion Cotillard ist großartig und der beruhigende Beweis, dass es auch noch die schlichte Marke "gute Schauspielerin" gibt (Sie ist zweifellos eine Favoritin auf den Darstellerin-Preis).
Manche tragen aber auch schwer an ihren Marken. Oscar-Regisseur Michel Hazavanicius ist so ein Fall. Mit seinem oscargekrönten schwarz-weißen Stummfilm "The Artist" war der Mann mit dem unaussprechlichen Namen vor drei Jahren zum Superstar aufgestiegen. Jetzt präsentierte er im Wettbewerb seinen neuen, zweieinhalb Stunden langen Film – und wurde dafür ausgebuht. Wie schon in "The Artist" setzt er auf die Marke, gutes altes Hollywood-Kino oscarreif wiederzubeleben. Dafür hat er sich das Remake eines alten Oscar-Siegers vorgenommen: Fred Zinnemanns "The Search" (1948). Darin hilft ein US-Soldat (Montgomery Clift) am Ende des Zweiten Weltkriegs in den Ruinen von Berlin einem verlorenen, jüdischen Kind. Hazavanicius verlegt die Geschichte in die Ruinen des Tschetschenien-Krieges 1999. Gegen diesen Plan an sich wäre nichts einzuwenden, gegen seine sentimentale Ausführung schon.
Schwelgt in Toten
Denn der Film schwelgt in Gesichtern geretteter Kinder, gefolgt von Gesichtern entstellter Kriegsleichen und untermalt das geschmäcklerisch mit dem Benjamin Britten-Song "Cockoo". Wofür es bei seiner Premiere prompt Protestrufe gab. "The Search" verwebt vier Geschichten zu einem Kriegs-Panoptikum: ein Bub, der nach der Ermordung seiner Eltern flüchtet; die Schwester, die ihn sucht; eine Mitarbeiterin der Menschenrechtskommission, die den Buben findet und einen erfolglosen Kampf gegen EU-Mühlen führt; und die Geschichte eines Täters, eines russischen Soldaten: netter Jugendlicher, zuerst wird er beim Militär systematisch gedemütigt und so zum Kriegsschlächter erzogen. Der Film hat seine bewegenden Momente und noch mehr als das: ein bewegendes Anliegen. Eine Mahnung zu sein, wie wenig Europa für die Menschen im Tschetschenien-Krieg getan haben, ist richtig. Doch der Film meint es allzu verzweifelt gut.
Kommentare