Tex Rubinowitz gewinnt Bachmann-Preis

Der Sieger heißt Tex Rubinowitz. Wer zu Beginn der 38. Tage der deutschsprachigen Literatur auf den Wahlwiener getippt hatte, wurde eher belächelt. "Humor schließt Bachmann-Preis aus", war allenthalben zu hören - auch vom nunmehrigen Preisträger selbst, der um 25.000 Euro reicher ist.

Zufall

Der Bachmann-Preis ist für Rubinowitz jedenfalls etwas ganz Besonderes, seine Analyse fiel schon im Vorfeld wie immer ironisch-humorig aus: "Klagenfurt ist in dieser Zeit in einem komischen Literaturausnahmezustand, der von den Klagenfurtern selbst gar nicht mitbekommen wird. Die interessieren sich halt für den 'Iron Man' oder das GTI-Treffen", schmunzelte der Autor. "Und dann landen dort diese Stubenhocker, die blassen Typen, die wie ferngesteuert durch Klagenfurt wandeln und - wenn sie aus Norddeutschland kommen - vielleicht nicht mal die Sprache verstehen und dann ganz verblüfft sind, wie hübsch dieser Ort ist." Zudem bekomme man bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur "hoch konzentrierte Literatur" serviert. "Das ist richtige Arbeit. Die Juroren sind danach immer ganz erschöpft."
Die weiteren Preisträger




Burkhard Spinnen lieferte zum Abschluss noch eine Pointe, als er seinen Rückzug aus der Jury bekannt gab. "Bevor jemand auf die Idee kommt, der ist schon viel zu lange da, gehe ich lieber selbst", begründete er seine Entscheidung. Spinnen war seit 2008 Vorsitzender der Jury gewesen, nun muss sich Organisator Horst L. Ebner um die Nachfolge kümmern. Die Jury diskutierte in diesem Jahr ausgesprochen intensiv, gleich bei der ersten Lesung - Roman Marchel hatte die undankbare Nummer eins gezogen - waren alle sieben sehr präsent. Erstmals dabei Arno Dusini, der gebürtige Südtiroler fiel damit auf, dass er stets anmahnte, in der Diskussion näher beim Text zu bleiben.
Nach den Turbulenzen im vergangenen Jahr, als die Streichung der Veranstaltung im Raum stand, kehrte der Wettbewerb in diesem Jahr zur Normalität zurück. Beobachter monierten, dass die Texte früher besser gewesen seien, andere kritisierten, die Jury springe zu hart mit den Teilnehmern um. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz beehrte das Wettlesen heuer ebenso wie der kaufmännische ORF-Direktor Richard Grasl. Ein Saurier, wie es bei der Eröffnung in Anlehnung an das von Reinhard Taurer gestaltete Bühnenbild hieß, ist das Wettlesen jedenfalls auch in der 38. Auflage nicht. Jurymitglied Juri Steiner meinte: "Es passiert immer wieder etwas Neues, etwas anderes." Diese Unwägbarkeiten machen seiner Ansicht nach den "ewigen Reiz" der Veranstaltung aus.
Unter den - nach krankheitsbedingtem Ausfall von Karen Köhler - 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatte sich nach den Lesungen kein eindeutiger Favorit herauskristallisiert. Auf die Shortlist schafften es schließlich neben Rubinowitz der Schweizer Michael Fehr, Katharina Gericke, Anne-Kathrin Heier, der aus Sri Lanka stammende Senthuran Varatharajah sowie Gertraud Klemm und Roman Marchel aus Österreich. Diese dürfen nun hoffen, bei der anschließenden Vergabe der weiteren Preise zum Zug zu kommen. Im Vorjahr gewann Katja Petrowskaja mit "Vielleicht Esther" den Bachmann-Preis.
Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird seit 1977 in Erinnerung an die in Klagenfurt geborene Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) verliehen. Im Anschluss die bisherigen Preisträger:
1977 - Gert Jonke 1978 - Ulrich Plenzdorf 1979 - Gert Hofmann 1980 - Sten Nadolny 1981 - Urs Jaeggi 1982 - Jürg Amann 1983 - Friederike Roth 1984 - Erica Pedretti 1985 - Hermann Burger 1986 - Katja Lange-Müller 1987 - Uwe Saeger 1988 - Angela Krauß 1989 - Wolfgang Hilbig 1990 - Birgit Vanderbeke 1991 - Emine Sevgi Özdamar 1992 - Alissa Walser 1993 - Kurt Drawert 1994 - Reto Hänny 1995 - Franzobel (eigentlich Stefan Griebl) 1996 - Jan Peter Bremer 1997 - Norbert Niemann 1998 - Sibylle Lewitscharoff 1999 - Terezia Mora 2000 - Georg Klein 2001 - Michael Lentz 2002 - Peter Glaser 2003 - Inka Parei 2004 - Uwe Tellkamp 2005 - Thomas Lang 2006 - Kathrin Passig 2007 - Lutz Seiler 2008 - Tilman Rammstedt 2009 - Jens Petersen 2010 - Peter Wawerzinek 2011 - Maja Haderlap 2012 - Olga Martynova 2013 - Katja Petrowskaja 2014 - Tex Rubinowitz
Eine sympathische, aber falsche Entscheidung (Der Standard) orten Medien am Tag nach Ernennung von Tex Rubinowitz zum Bachmann-Preisträger 2014. Schärfer als die Kritik an der Jury-Entscheidung fällt jene am "System Bachmann-Preis" an sich aus: Die Tage der deutschsprachigen Literatur würden zur Belanglosigkeit (Die Presse), der Jahrgang sei "so schwach wie die sauren Weine von 2010" ( FAZ).
Salzburger Nachrichten, Anton Thuswaldner: "Tex Rubinowitz in einer Reihe mit früheren Bachmann-Preisträgern wie Olga Martynova, Uwe Tellkamp oder Terézia Mora kommt einer Verächtlichmachung der Preisidee gleich. Nicht, dass dieses Jahr ein Fest der großen Literatur gewesen wäre. Doch gab es Texte, über die sich ernsthaft sprechen ließ. Ach ja, Gespräch. Es kam ja kaum eines zustande. Da besitzt der wirklich rüde Text des Schweizers Michael Fehr, der dafür den Kelag-Preis (10.000 Euro) bekam, schon ganz andere Qualitäten. Der Autor, schwer sehbehindert, bekam den Text über Kopfhörer zugespielt und gab ihn dann an das Publikum weiter."
Der Standard, Stefan Gmünder: "Einen traurigen Clown und einen 'Lakoniker mit Sexappeal' machten die Juroren in Rubinowitz' Erzähler aus. Und es mag eine sympathische Entscheidung der Jury sein, ausgerechnet diesen Text mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis auszuzeichnen. Richtig ist sie nicht. Als Symbol könnte sie sogar verheerend sein. Rubinowitz, der vom Auslassen des berüchtigten Autorenvorstellungsvideos über die bewusst gewählte Alltagssprache bis zum rotzigen Vortrag des Textes alles tat, um Erwartungen, die hier an Autoren und Literatur gestellt werden, eben gerade nicht zu erfüllen, wurde schließlich mit einem literarisch mediokren Text zu Tode umarmt."
Die Presse, Harald Klauhs: "Drohte dem Bachmann-Preis 2013 das finanzielle Aus, läuft er nun Gefahr, wegen literarischer Belanglosigkeit sanft zu entschlafen. Ging anfangs noch leises Raunen durch die Fachbesucher, war am Ende schon kräftiges Murren vernehmbar: Warum nur so unerhebliche Texte? Ist die gegenwärtige Jury inzwischen so eine Art spanische Nationalmannschaft? Gut eingespielt, aber ohne jeglichen Biss. Oder liegt es am 'System Bachmann-Preis' an sich? Das macht die Juroren zu Geiseln der Autoren, die sie einladen. Vielleicht sollte man zwei Jurys einsetzen: eine anonyme, die die Texte auswählt, und eine öffentliche, die darüber diskutiert."
Neue Zürcher Zeitung, Roman Bucheli: "Die Texte waren in diesem Jahr - wie in manchen Jahren zuvor - von sehr durchschnittlichem Niveau und handelten, naturgemäss möchte man sagen, vornehmlich von Krisenphänomenen. Und auch die Jury befand sich während dreier Tage auf Formsuche. (...) Es passt denn zu diesem Jahrgang, dass mit Tex Rubinowitz, der auf Einladung von Daniela Strigl gelesen hat, ein Autor den diesjährigen, mit 25 000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, der ostentativ bis zur Provokation mit den äusseren Vorgaben des Wettbewerbs sein Spiel getrieben hat. Er verweigerte sich dem von allen Autoren produzierten Videoporträt, er las mit demonstrativer Nonchalance ("scheusslich gelesen, was fast schon wieder gut war", befand ausgerechnet Burkhard Spinnen) einen Text, der mit ebensolcher Unbekümmertheit alle konventionellen Ansprüche an die literarischen, künstlerischen Codes zu unterlaufen, ja verweigern schien."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sandra Kegel: "So schlecht wie in diesem Jahr hat es um den berühmten Wettbewerb vielleicht noch nie gestanden. Dabei war er gerade erst voriges Jahr noch einmal mit viel Glück und Chuzpe gerettet worden, nachdem der Hauptsponsor ORF nach siebenunddreißig Jahren die Geldmittel streichen wollte. Und dann reist ein Jahrgang an den Wörthersee, der so schwach ist wie die sauren Weine von 2010. Von dem, was Klagenfurt voriges Jahr an aufregenden Texten zu bieten hatte, von Autoren wie Katja Petrowskaja, Heinz Helle, Roman Ehrlich oder Joachim Meyerhoff, war man 2014 Lichtjahre entfernt. Bei manchen der dreizehn Lesungen, die sich über drei Tage von morgens bis zum späten Nachmittag erstreckten, mochte man gar nicht mehr zuhören, so provinziell kamen sie daher. Als habe man sich in einen Volkshochschulkurs für kreatives Schreiben verirrt."
ZEIT ONLINE: "Und nun hat Tex Rubinowitz den Bachmannpreis gewonnen. Das ist, angesichts der Qualität der Wettbewerbsbeiträge in diesem Jahr, keine ganz große Überraschung. 'Ich habe', so hat es der neue Bachmannpreisträger in einem Interview gesagt, 'zu vielem keine Meinung, weil ich das einfach nicht durchschaue.' Das ist ein Satz, der möglicherweise auch auf die diesjährige Juryentscheidung und vor allem auf den Abstimmungsvorgang zutreffen könnte. Denn in der ersten Runde votierten sieben Juroren für sechs Autoren; nur der Schweizer Teilnehmer Michael Fehr erhielt die Stimmen der beiden Schweizer Juroren, was offensichtlich auf einer Absprache beruhte. Schon da wurde deutlich: Wer den Bachmannpreis in diesem Jahr bekommt, ist im Grunde wurscht. Jetzt bekommt ihn eben eine anarchische Spaßmacherfigur, 25.000 Euro noch obendrauf."
Die Welt online, Marc Reichwein: "Das soll's gewesen sein? Fragten sich Journalisten, Verlagsleute und sonstige Aficionados, nachdem auch der dritte und letzte Tag des 38. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs keinen zwingenden Favoriten hervorgebracht hatte. (...) Dass am Ende tatsächlich Tex Rubinowitz den Bachmann-Preis gewann und keinen der "kleinen" Preise, für die man ihn allemal auf der Rechnung hatte, zeigt auch, wie sehr sich die Jury nach jenem Stück Lässigkeit sehnte, das den anderen Wettbewerbstexten fast durchweg abging. 'Überinstrumentiert', 'zu gewollt' oder auch 'prätentiös' waren häufige Diagnosen beim Bachmann-Wettbewerb 2014. Rubinowitz unterlief sie komplett, sein Text 'Wir waren niemals hier' war wohltuende Antischwurbeltherapie."
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