"Tatort"-Autor über Eisner-Fellner-Nachfolger: "Müssen eigenen Stil finden“
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Bibi Fellner (Adele Neuhauser, re.) mit Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer).
Der Fundort der Leiche ist in diesem Wiener „Tatort“ ungewöhnlich. Mitten in den Wirren einer Großdemo im Regierungsviertel liegt ein toter Demonstrant in einer riesigen Blutlache. Und die Situation ist, wie es im Polizeijargon heißt, noch unübersichtlich. Die Einsatzkräfte haben alle Hände voll zu tun, um die Massen im Griff zu halten. Ob sie dabei deeskalierend wirken, wird Teil der Ermittlungen von Moritz Eisner und Bibi Fellner. „Wir sind nicht zu fassen“ lautet der Titel dieses turbulenten Polit-Krimis (Sonntag, 1. Juni, 20.15 Uhr, ORF 2) zwischen Staatsverweigerern, Verschwörungstheoretikern und Geheimdiensten.
Geschrieben hat diesen – nach kürzlich erfolgten Verhaftungen im deutschen Reichsbürger-Milieu – gerade wieder hochaktuellen „Tatort“ Rupert Henning. Henning, der auch Regie führte, erklärt, was ihn beim Schreiben bewegt hat: „In den letzten Jahren haben wir eine Spaltung der Gesellschaft erlebt, einen Dauerausnahmezustand, in dem man sich – gefühlt – seit der Pandemie befindet. Das ist leider nach wie vor aktuell.“
Im vollständigen Interview (siehe unten) spricht Rupert Henning auch über die drastischen Einsparungen bei der Kinofilmförderung.
KURIER: Der neue Tatort ist wieder sehr politisch und spricht Probleme an, die zuletzt auch in Deutschland aktuell waren, da gab es wieder Verhaftungen in der Reichsbürgerszene. Warum sind Sie dieses Thema angegangen?
Rupert Henning: In den letzten Jahren haben wir eine Spaltung der Gesellschaft erlebt, einen Dauerausnahmezustand, in dem man sich – gefühlt – seit der Pandemie befindet. Das ist leider nach wie vor aktuell. Darauf reagiert man als Bürger der Welt zunächst mit einem großen Fragezeichen - und dann muss man sich dazu verhalten, auch als Filmemacher. Der Tatort ist eines der letzten großen Lagerfeuer des deutschsprachigen Fernsehens, um das sich fast alle am Sonntagabend versammeln. Insofern ist das eine tolle Plattform, um Themen zu behandeln, die uns alle betreffen.
Es geht auch um Polizeigewalt und Aggressivität aus der anderen Richtung. Es kommt etwas eine "Empörungsnudel" (gespielt von Julia Edtmeier) vor. Wie haben Sie diese Figuren zeichnen wollen, damit es möglichst lang spannend bleibt?
Das Besondere an diesem Fall ist, dass die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht so klar gezogen werden kann. Das Wiener Ermittlerteam muss zunächst einmal herausfinden, wer da eigentlich gegen wen vorgeht und wer im Hintergrund die Fäden zieht. Wer hat ein Interesse daran, ein ganzes Land in Aufruhr zu versetzen? Es gab in den letzten Jahren ein ganz großes "Nein" zu staatlicher Bevormundung, zu "denen da oben", dem sogenannten Establishment. Wenn man mit diesen Leuten spricht, die dieses "Nein" formulieren, kommt man oft drauf, dass die gar nicht so genau wissen, wogegen sie eigentlich wirklich sind. Weil diese Protestszene auch sehr inhomogen ist. Da protestieren Leute zusammen, die es früher eher vermieden hätten, gemeinsam aufzutreten. Und man fragt sich: Was eint die eigentlich? Es scheint ein generelles Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und letztlich gegenüber der Demokratie zu geben. Das ist das, was ich auch hinterfragen wollte: Ob diese Menschen nicht hauptsächlich von diffusen Gefühlen geleitet werden. Und was sind sie bereit, mit dem Bade auszuschütten?
Glauben Sie, dass die Corona-Krise nur ein Brandbeschleuniger war und sich dieses generelle Unbehagen mit der Demokratie sich sowieso formiert hätte bei diesen Gruppen?
In den freien westlichen Demokratien gibt es eben dieses Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, auch gegenüber der Wissenschaft. Dadurch hat auch die Bereitschaft zum Kommunizieren abgenommen, zum echten Meinungsaustausch. Es gibt das schöne alte Sprichwort: "Beim Reden kommen d'Leut zusammen." Die Leute reden aber immer weniger miteinander, sondern sie hauen sich nur mehr ihre Meinungen an den Schädel. Und gelegentlich nicht nur Meinungen. Das ist bedenklich, weil eine Demokratie maßgeblich dadurch gestützt wird, dass es einen Dialog gibt.
Welche Rolle spielen hier die sozialen Medien - und kann man dort ansetzen?
Das Internet ist eine riesige Echokammer und hat den gesellschaftlichen Diskurs ganz maßgeblich verändert. Was wir jetzt mit KI erleben, beschleunigt das noch einmal und bewirkt ein exponentielles Wachstum der Unübersichtlichkeit. Und da gibt es natürlich Kräfte, die das instrumentalisieren. Wir sehen weltweit das Auftreten autokratischer Politikerinnen und Politiker, die gar kein Interesse daran haben, dass die Menschen miteinander in Dialog treten. Diese Leute wollen vielmehr polarisieren und spalten, weil sie so ihre Anhängerschaft bedienen. Die wollen nicht alle erreichen, sondern betreiben reine Klientelpolitik, was auch gar nicht mehr verheimlicht wird. Ich glaube, es ist Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und von Formaten wie dem "Tatort" zu thematisieren, was wir gerade erleben - abgesehen davon, dass man die Leute 90 Minuten lang gut unterhalten will.
Es ist natürlich auch ein Erodieren der ehemals großen Parteien zu beobachten, diese Diagnose haben sie ja quasi schon 2006 im Film "Freundschaft", mit Ihnen und Erwin Steinhauer in den Hauptrollen, gestellt. Die SPÖ ist wieder in einer Regierungsbeteiligung. Ist das eine Chance für die Sozialdemokratie?
Man hat immer eine Chance, wenn man sich möglichst konstruktiv an etwas beteiligt. Um zu verändern, was man ändern möchte - und das zu bewahren, was bewahrenswert ist. In den letzten 25 Jahren haben sich viele Dinge so entwickelt, wie es schon Ende der 90er Jahre absehbar war, wie zum Beispiel, dass Erfolg bequem macht. Die Demokratie ist - so wie das Friedensprojekt Europa - in den letzten Jahrzehnten eigentlich ein Erfolgsprojekt gewesen, aber das macht natürlich auch ein bisschen bequem und man setzt plötzlich Dinge als selbstverständlich voraus, die eben nicht selbstverständlich sind. Dazu gehört auch die Anstrengung eines echten Meinungsaustauschs. Das muss man lernen und trainieren. Natürlich ist es „einfacher“ und erscheint wirkungsvoller, die Menschen mit Dogmen zu bewerfen. Aber damit macht man es sich freilich zu einfach.
Im aktuellen "Tatort" steht die Beziehung zwischen Bibi Fellner und Moritz Eisner weniger im Zentrum als beim Fall davor: Wie ist es dazu kommen?, dass die da zwischendurch nicht ihre Beziehung quasi zueinander pflegen. Und vielleicht noch dahingehend, überleitend, wie geht es Ihnen damit, dass Sie jetzt Abschied nehmen müssen von diesen Figuren? Und wie sehen Sie, wie es da momentan dort weitergehen soll, aus Ihrer Sicht?
Bei diesem „Tatort" hab ich schon beim Schreiben gemerkt: Ups, da hat das Team gar keine Zeit, um sich mit sich selber zu beschäftigen, weil eben so viel auf sie einprasselt, weil sie vor der wirklich großen Herausforderung stehen, in dieser aufgeheizten Stimmung im Land kühlen Kopf zu bewahren und ihre Arbeit zu machen. Aber Fellner und Eisner sind natürlich einfach immer ein großartiges Team und können auch ganz schnell sehr privat und sehr persönlich werden können. Das erlebt man zum Beispiel in einer Szene mit der Assistentin Meret Schande (gespielt von Christina Scherrer). Sie können Konfliktsituationen sehr effektiv lösen, mit viel Humor und einer gewissen Selbstironie. Weil sie einander respektieren. Das zeigt, dass auch in einer Atmosphäre des Gegeneinanders ein Miteinander möglich ist. Der Film soll ja nicht entmutigen, sondern vielmehr zum Miteinander ermutigen, da bin ich ganz „aufklärerisch“ unterwegs. Das ist eine Utopie, die ich mir auch nicht von Leuten madig machen lassen will, die kein Interesse daran haben, dass die Menschen gut miteinander auskommen.
Jetzt muss ein neues Tatort-Team kreiert werden. Sind da auch einzelne Drehbuchautoren involviert?
Ich glaube, es wird mit dem "Tatort" gut weitergehen, da bin ich guter Dinge. Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer haben natürlich eine Ära geprägt, sind eine Trademark geworden. Ich durfte fünf Fälle mit ihnen machen und für mich war es immer toll, mit den beiden zusammenzuarbeiten. Und jetzt kommt etwas Neues. Es werden derzeit Gespräche geführt, aber es steht meines Wissens nach noch nicht fest, wer das neue Team bilden wird. Ich würde mir natürlich wünschen, dass es Persönlichkeiten sind, die gar nicht erst versuchen, in Adeles und Haralds Fußstapfen zu treten. Sie müssen ihren eigenen Weg, ihren eigenen Stil finden.
Sie sind mit der WHee-Film auch im Bereich Kino engagiert. Wie sehen Sie die aktuellen drastischen Einsparungen bei ÖFI+? Wie ist erklärbar, dass im Bereich Kino um so viel mehr gekürzt wird als bei TV/Streaming/Serviceproduktionen. Wie soll die Branche damit in den kommenden Jahren umgehen?
Die Filmschaffenden konnten in Zeiten von Budgetknappheit nicht erwarten, dass der Sparstift nicht auch im Kulturbereich angesetzt wird. Alle müssen zur Budgetkonsolidierung beitragen, das ist im Sinne der Solidarität auch in Ordnung. Die Frage ist aber schon, wie verhältnismäßig bei den Einsparungen vorgegangen wird. Wenn der Filmbereich, der ja bekanntlich hohe Wertschöpfung und Beschäftigung schafft und der öffentlichen Hand gute Einnahmen bringt, plötzlich mehr als die Hälfte der Kürzungen im Kulturbereich alleine tragen soll, dann stimmen die Proportionen überhaupt nicht. Auf diese Weise erzeugt man nur ein extremes Ungleichgewicht und gefährdet Existenzen. Das ist alles andere als konstruktiv. Es braucht eben auch hier einen Dialog auf Augenhöhe - und ein Agieren mit Augenmaß. Zum Beispiel sollte man sich dort was holen, wo massive Profite gemacht werden – bei den Streamern nämlich. Die angedachte Investitionsverpflichtung für die Streaming-Anbieter muss unbedingt kommen – und zwar besser heute als morgen.
Rupert Henning schrieb seit 2015 fünf Austro-„Tatort“-Folgen.
Wer gegen wen?
Das Besondere in diesem Fall sieht er darin, „dass die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht so klar gezogen werden kann. Das Ermittlerteam muss zunächst einmal herausfinden, wer da eigentlich gegen wen vorgeht und wer im Hintergrund die Fäden zieht. Wer hat ein Interesse daran, ein ganzes Land in Aufruhr zu versetzen?“ Es habe in den letzten Jahren „ein ganz großes Nein zu staatlicher Bevormundung, zu ,denen da oben‘“ gegeben, meint Henning. „Wenn man mit diesen Leuten spricht, die dieses Nein formulieren, kommt man oft drauf, dass die gar nicht so genau wissen, wogegen sie wirklich sind. Weil diese Protestszene auch sehr inhomogen ist. Da protestieren Leute zusammen, die es früher eher vermieden hätten, gemeinsam aufzutreten.“ Er habe sich die Frage gestellt: „Was eint die eigentlich? Es scheint ein generelles Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und letztlich gegenüber der Demokratie zu geben.“ Und er habe hinterfragen wollen: „Was sind sie bereit, mit dem Bade auszuschütten?“
Gerald Votava als Aussteiger aus der radikalen Szene; mit Christina Scherrer als Co-Ermittlerin Meret Schande
Henning diagnostiziert auch eine „abnehmende Bereitschaft zum Kommunizieren“. Statt „echten Meinungsaustauschs“ würden sich die Leute „nur mehr ihre Meinungen an den Schädel“ hauen, „und gelegentlich nicht nur Meinungen. Das ist bedenklich, weil eine Demokratie maßgeblich dadurch gestützt wird, dass es Dialog gibt.“
Vergleichsweise wenig der typischen Fellner- und Eisner-Dialoge, in denen die beiden sonst ihre Befindlichkeiten austauschen, gibt es in diesem „Tatort“. Henning habe schon beim Schreiben gemerkt: „Ups, da hat das Team gar keine Zeit, um sich mit sich selber zu beschäftigen, weil so viel auf sie einprasselt, weil sie vor der wirklich großen Herausforderung stehen, in dieser aufgeheizten Stimmung im Land kühlen Kopf zu bewahren.“ Aber Fellner und Eisner seien „einfach immer ein großartiges Team und können auch ganz schnell sehr privat und sehr persönlich werden“, meint Henning. „Sie können Konfliktsituationen sehr effektiv lösen, mit viel Humor und Selbstironie. Weil sie einander respektieren. Das zeigt, dass auch in einer Atmosphäre des Gegeneinanders ein Miteinander möglich ist. Der Film soll ja zum Miteinander ermutigen, da bin ich ganz ,aufklärerisch‘ unterwegs.“
Abschied über Wien
Das Aufklärerische kommt im Schlussbild massiv durch, als Eisner und Fellner mit Blick auf Wien über die Demokratie als beste unter den schlechten Staatsformen räsonieren. Das hat auch etwas von Abschied nehmen eines Autors von diesen Figuren. Denn 2026 wird das letzte Jahr der beiden Ermittler sein und Henning hat von den verbleibenden Fällen keinen geschrieben.
Für die Zukunft der Reihe ist er „guter Dinge“. „Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer haben natürlich eine Ära geprägt, sind eine Trademark geworden“, sagt der Autor. Wer das neue Team sein wird? „Steht meines Wissens nach noch nicht fest“, sagt Henning. Er wünscht sich „Persönlichkeiten, die gar nicht erst versuchen, in Adeles und Haralds Fußstapfen zu treten. Sie müssen ihren eigenen Weg, ihren eigenen Stil finden.“
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