Stille Nacht, der Adolf und das Anderssein

Beim Festival „Steirischer Herbst“ gelangte kürzlich die Produktion „ Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“ zur Erstaufführung. Als Ergänzung gab es eine von KURIER-Kulturredakteur Thomas Trenkler geleitete Schreibwerkstatt: Schülerinnen und Schülern ab 16 wurden die Arbeitsweise des deutschen Kollektivs Rimini Protokoll und Hintergründe zur Produktion vermittelt. Die Aufgabe lautete, über „ Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“ eine Reportage zu schreiben. Hier der beste Text.
Von Lisa Stepanek
„Mein Kampf.“ Gut, ein solcher Titel könnte auf vielen Buchumschlägen Platz finden. „Mein Kampf.“ Sagt mir jetzt nichts. Das Buch von Adolf Hitler. Die Augen aufgerissen, angespannte Körperhaltung, Skepsis. Wie ein Reh im Licht der herannahenden Scheinwerfer. Aber auf der Bühne stehen keine Rehe im Licht der herannahenden Scheinwerfer. Da stehen Leute wie du und ich. Und reden. Sie reden viel und sie reden über sich. Ich könnte wohl auch viel reden, und wohl auch viel über mich. Das allerdings, was diese „Experten des Alltags“, wie sie liebevoll von den mindestens genauso liebevoll bezeichneten „Theatermachern“ Helgard Haug und Daniel Wetzel genannt werden, zu erzählen haben, will gehört und gesehen werden. Also mache ich mich auf den Weg, ohne Vorahnung, ohne Erwartung. Ohne auch nur je in meinem Leben einen Gedanken an diese Thematik verschwendet zu haben. Es ist der 1. Oktober, ein Donnerstagabend.
Die bereits mehrfach ausgezeichnete deutsche Theatergruppe namens Rimini Protokoll mit den bereits erwähnten Haug und Wetzel wird durch den Schweizer Stefan Kaegi komplettiert. Sie widmen sich in ihren Produktionen regelmäßig wichtigen und aktuellen Themen. „Mein Kampf“ ist aktueller denn je, da Ende 2015 das Auslaufen der Urheberrechte, welche bisher der Freistaat Bayern innehatte, bevorsteht.
Rimini Protokoll ist anders. Das war mir schon vorher bekannt, dennoch überraschte mich die Andersartigkeit in einem Ausmaß, wie ich es nicht für vorstellbar hielt.
„Da war nur Schweigen.“ „Niemand hat darüber gesprochen.“ Das Tabuthema wird also salonfähig. Oder etwa doch nicht? Die Akteure sprechen diese zwei Sätze am Beginn eines Abends voller Erzählungen aus. Und kein anderer Satz hätte besser als Einleitung fungieren können. Ja, niemand hat darüber gesprochen – höchstens hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt. In den nächsten 135 Minuten ohne Pause wird allerdings sehr viel darüber gesprochen. Soviel, dass man beinahe den Eindruck gewinnen könnte, man müsse die Zeit des Schweigens aufholen.
Wie passt „Stille Nacht, Heilige Nacht“, ewiges „Stadt, Land, Fluss“-Spiel, aggressiver Deutschrap, volkstümliches Harmonikaspielen, die Österreichische Bundeshymne und „Hoppe Hoppe Reiter“ in ein- und dasselbe Theaterstück? Eben. Gar nicht. Gerade das fasziniert und fesselt. Wer hätte auch gedacht, dass das Publikum mit Späßen bei Laune gehalten werden kann, obwohl man hinter „Mein Kampf“ eigentlich die „dunkle Vergangenheit“ ortet? „Wer würde das Buch hier in Graz auf den Kaffeetisch legen?“ – „Den Platz brauch ich für Kaffee.“ Gelächter im Saal. Ich wurde eines Besseren belehrt.
Fast schon provozierend wurden immer wieder Fragen in den Raum gestellt. Fragen, über die man noch viel länger nachdenken müsste, würde nicht nach einigen Sekunden schon die nächste über das Bühnenbild schwirren. „Wer denkt, dass ,Mein Kampf‘ nur so gut verkauft wurde, weil es von Adolf Hitler war?“ oder „Wie klingt ,Mein Kampf‘ für dich?“ Bei diesen Fragestellungen hört man förmlich die Überlegungen jedes Einzelnen.
Ob es am Aufmerksamkeitssynonym Hitler liegt oder an Rimini Protokoll samt der genialen Idee des Andersmachens? Keine Ahnung. Auf jeden Fall aber ist es ein wertvoll verbrachter Abend zum Nachdenken und „darüber Reden“.
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