Stewart O'Nans neuer Roman macht Lust, mit Bären zu steppen

Henry war mit Emily verheiratet. Mit Emily, die von Stewart O’Nan 2011 porträtiert wurde, als Henry längst tot und sie Witwe war.
„Emily, allein“ schockierte mit Altsein und den Banalitäten, die sind ... und die kommen. Aber Emily hat sich mit 80 ein neues Auto geleistet, also besteht Hoffnung auf Zukunft.
Soll niemand behaupten, er habe nichts erlebt, und nichts sei erzählenswert!
„Henry persönlich“ schafft fast 500 Seiten – keinesfalls abenteuerliche. Aber wahrhaftige. Zärtliche. So zärtlich ist der Roman, dass es einem Angst nimmt. Emily und Henry – das könnten „wir“ werden. Es wäre ... na ja, zum Ertragen.
Das Jahr mit Henry Maxwell, als er 74, 75 war (und Emily 71), hat Fixpunkte. Kirche am Sonntag; Blumenschau im Frühling; das Häuschen am See im Sommer; Weihnachten mit der erwachsenen Tochter, die ein Alkoholproblem hat, und mit dem Sohn (verheiratet, zwei Kinder), den Henry dann wieder umarmen darf ...
... aber es fühlt sich ungelenk an, „wie bei zwei Fremden, die tanzen lernen.“
Verdünnen
Henry aus der Grafton Street in einem Vorort von Pittsburgh ist einfach gestrickt.
Fast einer von den vielen Österreichern, die sich – laut aktueller Umfrage – einen stabilen Tagesablauf wünschen.
Emily kocht, Henry ist fürs Abwaschen zuständig, seit seiner Kindheit schon.
Er will keinen Ärger, aber dass sein Hund Rufus so oft in den Garten vor dem Haus pinkelt, das macht ihn unrund: Das Gras wird gelb. Henry will deshalb nach jedem Mal mit dem Wasserschlauch „verdünnen“.
Emily wundert sich.
Henry will die Nähe seiner Frau, er bettelt um ihre Küsse, auch nach fast 50 Ehejahren.
Im Keller repariert er alles Mögliche. Das fürchtet Emily. denn wenn er etwas repariert, muss er es am nächsten Tag wieder reparieren usw.
Henry ist (trotzdem?) einzigartig. In Rückblicken an den Krieg wird erzählt, wie er wurde.
„Henry persönlich“ ist genauso einzigartig. Emotionen finden die richtigen menschelnden Worte, und Emotionen werden beim Lesen ausgelöst.
Es wird wohl das letzte Jahr Henrys sein. Er findet eingetrocknetes Blut im Bad – von ihm? Er hat ein Stoppschild, das ihm seit Jahrzehnten bekannt ist, übersehen – fast kollidiert er mit dem Schulbus:
Im Fenster bemerkt er sein Spiegelbild, den gespenstischen Zwilling, der über dem Abgrund schwebt.
Zum Vatertag wünscht er sich nur: Maissuppe.
Zum 75. Geburtstag bekommt er eine Fotografie der ganzen Familie im Eichenlaubrahmen.
Man bekommt Lust, noch einmal mit den Bären zu steppen.
Stewart O’Nan: „Henry persönlich“
Übersetzt von
Thomas Gunkel.
Rowohlt Verlag.
480 Seiten.
24,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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