Stadtmuseum St. Pölten: Der grauslich bittere Tee der Nazizeit

Die Tangente von St. Pölten, das Justamentprogramm im Kulturhauptstadtjahr von Bad Ischl, ist Geschichte. Und der Domplatz, 2024 mit Kunstinstallationen aufgemotzt, wieder Betonwüste. Aber die Tangente war zumindest ein Versuch, St. Pölten zu beleben. Das KinderKunstLabor wurde realisiert – und im Stadtmuseum eine erstaunliche, noch bis 25. Mai laufende Ausstellung zusammengestellt: „Blick in den Schatten“ beschäftigt sich mit allen Facetten des Nationalsozialismus samt den Auswirkungen.

Die (Vor-)Geschichte verlief nicht wesentlich anders als in den anderen Städten. Seit der Wahl 1919 war eine nationalsozialistische Partei im Gemeinderat vertreten, die antisemitisch agierte: Im „St. Pöltner Beobachter“ wurde bereits 1925 eine Liste mit allen Juden veröffentlicht – samt Wohnadressen.
1934 kam es im Zuge des Februaraufstands zu Kampfhandlungen. Der sozialdemokratische Bürgermeister wurde von den Austrofaschisten verhaftet und durch Heinrich Raab, den Bruder des späteren Bundeskanzlers, ersetzt. Die Nazis bereiteten sich, ab nun illegal, auf die Machtübernahme vor. Und so weiter. All das wird im Stadtmuseum mit Objekten wie Dokumenten illustriert und ausführlich erklärt.

14. März 1938: Adolf Hitler, auf seinem Triumphzug nach Wien, im Hotel Pittner
Dennoch gibt es in St. Pölten Besonderheiten. Das beginnt damit, dass Adolf Hitler am 14. März 1938 auf seinem Triumphzug nach Wien im gutbürgerlichen Hotel Pittner sein Mittagessen einnahm. Die Betreiber waren feste Nazis. Fortan stellten sie in einer Vitrine beim Eingang das Handtuch, in das der Führer seine DNA gewischt hatte, aus. Oder war es die Seife?
Hitler-Memorabilia
Noch in den 1960er-Jahren waren die Memorabilia ausgestellt. Dennoch fanden in St. Pölten auch jene, die Feindsender gehört und Gegner des Regimes gewesen waren, nichts dabei, im Pittner Hochzeit zu feiern. Es gab, so sagt man, keine Alternativen.
Und die Großmutter des Reporters bereitete ihren Enkelkindern, wenn diese Husten hatten, einen grauslich bitteren, mit Honig gesüßten „Dr. Jury Tee“ zu. Bis heute gilt, dass nichts besser hilft. Und noch heute wird er in der Apotheke frisch gemischt. Der seit 1919 in St. Pölten tätige Lungenfacharzt Hugo Jury war jedoch kein wirklich Guter, sondern ab 1936 stellvertretender Landesleiter der illegalen NSDAP. 1938 wurde er Gauleiter von Niederdonau und 1940 Reichsstatthalter. Am 8. Mai 1945, mit dem Untergang des Dritten Reichs, nahm er sich das Leben.
Am erstaunlichsten aber sind die Künstler in St. Pölten. Da ist zunächst der Secessionist Ferdinand Andri zu nennen. Im Herbst 1937 erhielt er den Auftrag, zusammen mit dem Architekten Rudolf Wondracek auf dem Neugebäudeplatz eine „Brunnensäule“ mit dem Wappentier der Stadt, dem Passauer Wolf, zu gestalten. Wondracek hatte bereits zwei Jahre zuvor im Auftrag der Austrofaschisten auf dem Domplatz das zwölf Meter hohe Denkmal für den von illegalen Nationalsozialisten ermordeten Ständestaatskanzler Engelbert Dollfuß realisiert (das phallische Stück fiel drei Jahre später mit der NS-Machtübernahme).

Der Wolf von Ferdinand Andri
Andri, Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, schnitzte den aggressiven Wolf zunächst aus Lindenholz, ehe die Skulptur in Bronze gegossen wurde. Im Zuge des „Anschlusses“ im März 1938 übernahm Andri mit anderen die kommissarische Leitung der Akademie. Wenige Wochen später beantragte er die Aufnahme in die NSDAP. Das Modell seines Wolfs schenkte er 1939 der Stadt St. Pölten, NS-Bürgermeister Emmo Langer bedankte sich. Andri schaffte es in der Folge auf die Gottbegnadeten-Liste von Joseph Goebbels.
Auch sein Kollege Wilhelm Frass, 1886 in St. Pölten geboren, arbeitete emsig für die Austrofaschisten, um sich dann als glühender Nazi zu outen. 1933/’34 haute er aus Marmor den toten Soldaten für die Krypta im Burgtor beim Wiener Heldenplatz – und versteckte darunter in einem Kassiber ein Huldigungsschreiben an den Nationalsozialismus.

1939: Der St. Pöltner Bildhauer Wilhelm Frass samt dem Gipsmodell „Die Ostmark“
1939 schuf er das Gipsmodell für die monumentale Skulptur „Die Ostmark“, die den „Anschluss“ ans Deutsche Reich verherrlichen sollte. Das Denkmal wurde nicht umgesetzt, überlebt hat aber der Adler – und dieser ist im Stadtmuseum ausgestellt: aus toxischen Gründen eingepackt in eine Transportkiste. Der in der NS-Zeit viel gerühmte Bildhauer war bis 1944 mehrfach auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München vertreten. Und auch er schaffte es auf die Gottbegnadeten-Liste.
Weinheber-Brücke
In der Ausstellung „Blick in den Schatten“ widmet sich eine kleinteilige Schautafel der „Kunst im Nationalsozialismus“. Natürlich wird auch der Hitler-Verherrlicher Josef Weinheber erwähnt, dem auf der Westautobahn eine Brücke gewidmet ist. Dahinter lugen Entwürfe für monumentale Bilder hervor. Der eine stammt von Andri für die Propagandaausstellung „Berge und Menschen der Ostmark“, das Gemälde maß 6 mal 32 Meter. Der andere – für ein Fresko in den Hermann Göring Werken (Linz) mit dem Titel „Der Morgen“ – von Maria Sturm, die auch NS-Oberbürgermeister Emmo Langer malte.
Nach dem Krieg war alles vergessen. Die Hakenkreuzfahne auf der Lithografie des Rathausplatzes von Hans Lang aus 1941 wurde mit rot-weiß-roten Streifen übermalt. Man feierte im Pittner, trank Hustentee. Und Maria Sturm porträtierte den Reporter, als dieser ein Bub war, im Auftrag der Mutter, die einst in Opposition zum NS-Regime gestanden war – im Gefolge des „Kings“, jenes Gottesmanns, der als Kardinal Franz König bekannt wurde.

Im Stadtpark: Normschönheitstorso von Wilhelm Frass
Und so stößt man in St. Pölten auf den Wolf von Andri, ein Kriegerdenkmal und einen weiblichen Torso von Frass. Aber nirgendwo findet sich ein Hinweis auf die NS-Vergangenheit der Künstler.
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