Das Burgtheater abreißen!

Das Burgtheater in Wien mit Passanten und Autos davor.
Skandale an der "Burg": Matthias Hartmann ist nicht der erste Direktor, dem das Misstrauen ausgesprochen wird.

Es wär nicht Wien und schon gar nicht das Burgtheater, käme man so ganz ohne Skandale aus. Matthias Hartmann ist nicht der erste Direktor, dem vom Ensemble das Misstrauen ausgesprochen wurde. Den Direktoren Haeusserman und Peymann erging’s nicht anders, und der Dichter Anton Wildgans, der sogar zwei Mal Direktor war, musste die Gagen der Schauspieler kürzen, um das Burgtheater vor dem Zusperren zu retten. Der erste und zugleich größte Skandal ereignete sich freilich gleich zur Eröffnung der heutigen "Burg". Damals verlangten Teile das Ensembles nicht mehr und nicht weniger als das Burgtheater abzureißen.

Geschockte Mimen

Als das jetzige Burgtheater 1888 eröffnet wurde, waren die Schauspieler schockiert, weil Akustik und Sicht so schlecht waren, dass man ihren Vortrag in den Rängen weder hören noch sehen konnte. Außerdem ging der intime Stil, der das bisherige Burgtheater am Michaelerplatz geprägt hatte, verloren.

Porträt eines Mannes mit kurzen, grauen Haaren und einem schwarzen Pullover.
APA5763318-2 - 03112011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Der Direktor des Burgtheaters, Matthias Hartmann, am Donnerstag, 03. November 2011, im Rahmen einer PK mit dem Titel "Die Burg-Spielzeit 2011/12 - Neue Premieren und Projekte" in Wien. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Der Schauspieler Hugo Thimig notierte nach den ersten Proben im neuen Haus am Ring in sein Tagebuch: "Es spricht sich wie am Meeresstrande, ins Endlose. Probe zu Götz von Berlichingen. Alles ist verzweifelt über Schwerfälligkeit des Bühnenapparats... Wallensteins Lager in Anwesenheit des Kaisers: Das Stück langweilte.

Teils durch die Dimensionen des Hauses, teils durch zu lautes Sprechen der Schauspieler, die glauben, den großen Raum stimmlich füllen zu müssen. Alle Collegen tief traurig."

Der Volksmund spottete: "Im Parlament hört man nichts, im Rathaus sieht man nichts und im Burgtheater hört und sieht man nichts!" Vor allem alterierte man sich, dass die "prunkhafte Gruft" 21 Millionen Gulden (= heute 130 Millionen Euro) gekostet hat.

Hilfe vom Kaiser

Als letzte Rettung sahen die Schauspieler eine Intervention beim Kaiser, an den sie dank seiner Beziehung zur Hofschauspielerin Katharina Schratt gelangten. Die Schratt lud Kaiser und Hugo Thimig zu einer Unterredung bei Kaffee und Gugelhupf in ihr Haus. "Majestät", begann Thimig, "das Theater ist unbrauchbar. Es ist zu hoch, zu groß". Nur eine niedrigere Saalhöhe oder ein neues Haus könnte das Burgtheater retten. Mit anderen Worten: Abreißen!

Kaiser Franz Joseph, der selbst mit dem neuen Burgtheater höchst unzufrieden war, erwiderte: "Ein neues Haus kann man nicht bauen, wo das jetzige so teuer war." Das Gespräch brachte dennoch Erfolg: 1897, neun Jahre nach seiner Eröffnung, wurde das Burgtheater vollständig umgebaut, die Mängel wurden behoben. Die "Burg" galt wieder als führende Bühne. Und Hugo Thimig wurde 1912 deren Direktor.

Infolge des Zusammenbruchs der Monarchie und der finanziellen Probleme in der Ersten Republik schlitterte das Burgtheater von einer Krise in die andere. Der Dichter Anton Wildgans war zwei Mal (1921/1922 und 1930/1931) Burgtheaterdirektor. Doch statt zu sparen, eröffnete er 1922 das Akademietheater als zweite Bühne mit einer Festvorstellung – vor fast leerem Haus, weil das Publikum durch einen Druckerstreik nicht von dem Ereignis verständigt werden konnte.

Ein Kino statt der "Burg"

Im Jahr 1931 wurde im Parlament ernsthaft darüber diskutiert, das Burgtheater in ein Kino umzubauen. Um das zu verhindern, kürzte Direktor Wildgans die Gagen der Schauspieler – natürlich unter deren lautstarkem Protest. Wildgans bewahrte dabei seinen Humor: "Ich bin die einzige Wildgans", sagte er, "für die es keine Schonzeit gibt". Dann trat er zurück.

Teure Gäste

Ein Mann mit Brille und Anzug raucht eine Pfeife.
Ernst Häussermann, Ernst Haeussermann, 20.06.1970 eingescanntes Archivbild
Ernst Haeusserman zählt zu den legendären Direktoren der Zweiten Republik. Doch auch er musste einen Misstrauensantrag über sich ergehen lassen, als er 1964 vom Betriebsrats-Obmann Erich Auer der "völligen Planlosigkeit und finanziellen Misswirtschaft" beschuldigt wurde. Der Direktor, klagte das Ensemble, beschäftigte Darsteller wie Judith Holzmeister, Gusti Wolf und Alma Seidler nur zur Hälfte ihrer Kapazität und holte dafür teure Gäste, die die "Burg" zum "Durchhaus" degradierten.

Der Rechnungshof bestätigte die Kritik: Der Direktor gab großzügige Empfänge, wie einen Heurigen-Abend um 20.862,70 Schilling; Auslandsreisen kosteten sechs bis sieben Mal mehr als geplant und Haeussermans Chauffeur, der oft bis nach Mitternacht vor dem Stammlokal seines Direktors zu warten hatte, machte 1962 Überstunden für 33.572,25 Schilling.

Alles in allem bezog das Burgtheater damals jährlich 26 statt der budgetierten 23 Millionen Schilling. Die Direktion hätte gewirtschaftet, "als stünden unerschöpfliche Mittel zur Verfügung".

Zu guter letzt warf das Ensemble dem Direktor vor, nur selten im Haus zu sein. Haeusserman erklärte dies damit, dass er neben seiner Tätigkeit als Direktor an der Universität Wien Theaterwissenschaften inskribiert hätte, wodurch ihm "für die Leitung des Burgtheaters wenig Zeit" bliebe. Quasi als Trost führte er an, das Studium im kommenden Jahr beenden zu wollen.

Der Direktor bleibt

Der Eklat endete wie Eklats in Österreich enden: Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic stellte sich hinter den Direktor, und alles blieb beim alten.

Ein Porträt von Helmut Kohl, der nachdenklich mit der Hand am Kinn dasitzt.
Das Archivbild vom 27.03.2000 zeigt Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, in Berlin. Peymann hat den ihm am vergangenen Wochenende verliehenen Wiener Theaterpreis "Nestroy" wieder zurückgegeben. Er protestiere damit gegen das "unwürdige Schauspiel und provinzielle Gezeter, das um die Nestroy-Preisverleihung an mich ausgebrochen ist", sagte Peymann am Dienstag (15.10.2002) in Berlin. dpa (zu dpa 0240 vom 15.10.2002)
Mehr Wirbel als jeder andere Direktor rief Claus Peymann hervor. Auch in seiner Ära traten viele Stars – bei vollen Bezügen – gar nicht oder nur in Nebenrollen auf, da er sein eigenes Ensemble mitgebracht hatte. Besonders heftig fiel die Kritik durch den Schauspieler und späteren VP-Kunststaatssekretär Franz Morak aus, aber auch Fritz Muliar, Erika Pluhar, Susi Nicoletti und Michael Heltau zogen sich in der Ära Peymann mehr und mehr von der ersten Bühne des deutschen Sprachraums zurück.

Freilich fand auch der "Krieg" des Ensembles gegen seinen meistgehassten Direktor ein sehr österreichisches Ende: Peymann wurde 2012 zum Ehrenmitglied des Burgtheaters ernannt, wodurch ihm – wie den Lieblingen des Burgtheaters – das Privileg zusteht, nach seinem Tod im Sarg feierlich um das Haus am Ring getragen zu werden.

Das alte Burgtheater
1748 eröffnet und 1776 von Kaiser Josef II. zum "Teutschen Nationaltheater" erhoben. Damals am Michaelerplatz gelegen, verfügte das Haus über einen Zugang zu den Gemächern des Kaisers, der somit direkt von der Hofburg in seine Loge gelangen konnte. Erste Erfolge als Musikbühne mit Mozart-Opern.

Das neue Haus am Ring
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fand die "Burg" in einer Mischung aus klassischem Drama, Konversationsstücken und Boulevard große Anerkennung. Mit dem Bau der Ringstraße bekam das Burgtheater im Oktober 1888 eine neue, wesentlich größere Heimstätte, die zunächst auf massive Kritik stieß. So wurde den Architekten Gottfried Semper und Karl von Hasenauer vorgeworfen, dass man die Schauspieler von Teilen des Zuschauerraums weder sehen noch hören konnte. Kaiser Franz Joseph verfügte einen Totalumbau.

Die Zerstörung
Durch einen Bombenangriff 1945 fast völlig zerstört, fand das Burgtheater im Ronacher seine Heimstätte. 1955 wieder eröffnet, gilt die "Burg" als bedeutendste Bühne im deutschen Sprachraum.

Die Lieblinge
Zu den Stars zählten Schauspieler wie Ewald Balser, Werner Krauß, Ernst Deutsch, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Annemarie Düringer und Josef Meinrad.

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