Siegeszug der Comics: Wir sind Helden

Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist eine einst schief angeschaute Kulturform, die früher als Rückzugsraum unbeliebter, aber nicht unbeleibter Teenager-Buben verspottet wurde. Und nun, als absoluter Mainstream, die Kulturwelt regiert.
Bilder von der Wiener Comic Con
Comics sind das geworden, was einst die Popmusik war: Die prägende Populär-Kultur. Der Boom hat sich angekündigt, aber erst ganz kürzlich ist er so richtig in die Breite gegangen: In Hollywood entsteht ein Superhelden-Film nach dem anderen, von den "Avengers" bis zu "Ant Man" in immer neuen Kombinationen. Bis 2018 werden es an die 30 sein, ein immenser Zuwachs zu den ein, zwei Neuproduktionen früherer Jahre. Auch das Fernsehen, das derzeit sein "goldenes Zeitalter" erlebt, entdeckt zunehmend das Genre. Wie jeder guten Populärkultur kann man sich auch den Comics auf verschiedensten Ebenen nähern: Kunstvoll gestaltete Graphic Novels bedienen die verfeinerten Erwartungen des Hochkulturpublikums, es gibt Mangas und Anime, philosophische, gesellschaftspolitische, satirische und gedankenfreie Comics, und im Supermarkt bekommt man die leichte Kost für zwischendurch. Und auf den Comics-Messen, weltweiten Riesenevents, schlüpfen die Fans in die Rolle von Fantasy-Figuren und Serienhelden, von Superhelden und ihren Gegenspielern.
Fankultur
Das Publikum ist so vielfältig wie die Figuren: Es gibt Hardcore-Fans, die verbissen über jedes Detail der Comicwelten wachen. Oder die zwar verspielten, aber im Kern strengen Prinzipien des Cosplays – also des Verkleidens – eisern verteidigen und jede Ungenauigkeit mit Missachtung strafen. Es gibt, auf der anderen Seite, die Normalos, die ein Mal im Jahr ins Superman-Kostüm schlüpfen. Und alles dazwischen.
Genauso wie die Figuren selbst: Retteten einst ausnahmlos starke Männer ausnahmlos hilflose Frauen, gibt es längst zeitgemäßere Zugänge zu Geschlechterrollen und Heldenhaftigkeit. Thor wurde, nicht zur Freude aller, zur Frau; Captain America ist ein Afroamerikaner.
Es ist insgesamt ein fast comichafter Siegeszug, den die Comics im weitesten Sinne erlebt haben. Wie sehr das Genre die Menschen bewegt, das lässt sich bei der ersten Comic Con in Wien erleben. Die Messe ist ein weiterer Ableger des Reed-Konzerns, der gerade die riesige New Yorker Comic Con in viele Länder exportiert (mit der echten und berühmten Comic-Con – mit Bindestrich! – in San Diego hat das aber wenig zu tun).

Alpträume und Träume
Dagegen wird nicht so sehr protestiert – das hat die Popmusik erledigt, das ist weiterhin deren Aufgabe. Sondern es werden die Träume, vor allem aber auch die Alpträume des Lebens verhandelt. Es geht um Gut und um Böse und die Facetten dazwischen. Um Gemeinschaft.
Und es geht, das ist der Punkt, auch um Lösungen, um Bezwingbarkeit. Und die Werke helfen, mit der durchaus nicht einfacher werdenden Realität umzugehen. Kein Wunder also, dass die Superhelden auch gegen die Extremisten und den Terror ins Rennen geschickt werden. Bekanntestes Beispiel ist Suleiman Bakhit: Der aus dem Jordan stammende Unternehmer produziert in Amman Comics, die der arabischen Jugend, aber auch dem Westen alternative Sichtweisen aufzeigen sollen: Und zwar mit arabischen Alternativen zu Superman und Batman, die gegen Rassismus, Extremismus, Hass und Intoleranz kämpfen. Anfeindungen und Attacken blieben nicht aus; aber Bakhit hat bereits 1,2 Millionen Exemplare seiner Comics verkauft.
Und Alternativen

Dass die Super- und Weniger-Super-Helden keine echten Lösungen für die echten Probleme bieten, bestärkt die alten und die neuen Kritiker des als "kindisch" verschrieenen Genres natürlich. In regelmäßigen Abständen flammen die Diskussionen darüber, ob Comics, Science Fiction und Fantasy gar ein Zeichen der Verblödung, des kulturellen Niedergangs sind, wieder auf.
Auch das ist ein gewohntes Bild bei jeder Popkultur, die es über die Wahrnehmungsschwelle der Kulturwächter geschafft hat. Und eigentlich müßig, ein bisschen wie Schimpfen über das Wetter: Wer heute auf der Comic Con in diese Richtung argumentieren will, steht auf verlorenem Posten. Dort sind ganz viele Helden. Wie wir.
Superman hatte recht bald nach seinem Eintreffen auf der Erde eine doch recht schwere Mission zu erledigen: Der Super-Mann musste gegen die Übermenschen bestehen. Zwar nur bei einem Sportfestival. Aber in dessen Vorfeld hielt ein fiktiver Diktator – "Karl Wolff" – in einer Rede fest, dass seine Untertanen allen anderen Menschen "überlegen" seien.
Waren sie nicht.

Inzwischen hatten sich auch weitere Superhelden in den Dienst der schwierigen Sache gestellt, insbesondere Captain America und Wonder Woman.

Einmal den "Eisernen Thron" besteigen und Herrscher über die sieben Königreiche von Westeros sein. Bei der Vienna Comic Con muss man dafür keine Schlachten schlagen, Intrigen schmieden oder Blutzauber anwenden, wie das in der Fantasy-Serie "Game Of Thrones" der Fall ist, sondern sich einfach nur brav anstellen. In der Reihe. Nach einer kurzen Wartezeit ist es dann soweit: Rauf auf den Thron, Smartphone in Position gebracht und fürstlich posiert – wie es sich für einen frischgebackenen König gehört. Rund 30 Sekunden kann man das Machtgefühl genießen. Dann heißt es: Der Nächste, bitte! Möglich ist diese Thronbesteigung noch bis Sonntagabend (es gibt noch Restkarten) bei der ersten Ausgabe der Comic Con inWien.
In der Halle D des Wiener Messegeländes buhlen unzählige Unternehmer aus der Unterhaltungsbranche um Aufmerksamkeit. Tausende sind gekommen – viele davon im favorisierten Superheldenkostüm –, um in Comic-Heften zu blättern, sich Trailer von neuen TV-Serien anzusehen, Computerspiele zu spielen und sich an einer der zahlreichen Diskussionsrunden zu beteiligen. Information und Entertainment, Plastik und Parallelwelten wohin das Auge blickt.
Ritter und Wildling
Auch Serienstars sind bei der Messe live und hautnah zu erleben. Gegen einen Unkostenbeitrag von 30 Euro bekommt man etwa von Giancarlo Esposito, besser bekannt als Gustavo Fring aus " Breaking Bad", ein Autogramm überreicht. Ein Foto mit dem Schauspieler gibt es um 25 Euro. Billiger, also um 20 Euro, bekommt man Finn Jones, "Ritter der Blumen", und Natalia Tena, das Wildlingsmädchen Osha, von "Game of Thrones" vor die Kamera. Apropos "Game of Thrones": Am Samstagabend hatte bei der Comic Con die in Wien produzierte Serie "Wienerland" Premiere. Ein Fantasy-Abenteuer, das – inspiriert von "Game of Thrones" – sich auch beim Genre Spaghetti-Western bedient. Sehenswert!

Im Rahmen der Messe fand auch ein Cosplay-Contest statt. Dabei handelt es sich um einen aus Japan stammenden Verkleidungstrend, der in den 1990er Jahren mit dem Manga- und Animeboom weltweit Anhänger gefunden hat. In Wien waren Cosplayer aus der ganzen Welt zu sehen – darunter Stars wie LeeAnna Vamp, der auf Facebook über 600.000 Menschen folgen. Auch die "Gefällt mir"-Generation braucht ihre Helden.
Info: Die Vienna Comic Con findet noch bis Sonntagabend (17 Uhr) in der Messe Wien (Halle D) statt.
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