"Sie mutieren doch nicht zum Menschen?"

Ein Mann im Anzug mit einer roten Blume am Revers blickt aufmerksam zur Seite.
Helmut Schödel, ein Deutscher, hat "Der Wind ist ein Wiener"geschrieben. Nun "schießt" Heribert Sasse als Kritiker des Kritikers zurück.

Der Theater­kritiker und Dramaturg Helmut Schödel, ein gebürtiger Deutscher, hat ein Buch geschrieben: "Der Wind ist ein Wiener". Nun "schießt" der Wiener Schauspieler, Regisseur, Ex-Theaterchef Heribert Sasse als Kritiker des Kritikers im KURIER zurück: ein Brief an Schödel.

Der Wind ist ein Wiener. Schon den Titel haben Sie von Ernst Molden geklaut. Der arme Teufel hat Ihnen die Erlaubnis dazu gegeben – was blieb ihm anderes übrig. Er weiß den wahren Titel: Der Wind ist der Schödel!

Gerade habe ich Ihr Buch "Der Wind ist ein Wiener" aus der Hand gelegt – ich hätte es wissen müssen, Schödel: Wir vom Theater haben für Sie den falschen Beruf ergriffen. Man kommt bei Ihnen ganz einfach besser weg als Kellnerin, als Tierarzt, als Hurentreiber – also mit einem Wort: mit den anständigen Berufen, die das Leben zu bieten hat. Denen, so lese ich, gehört Ihr Herz – Ihre Seele.

Theater

Ein Mann mit Brille und Bart in Schwarzweiß-Optik.

Und mir wird völlig klar, warum wir’s am Theater mit Ihnen so schwer haben. Bei uns Theaterleuten vergeht Ihnen zu schnell die Herzenswärme, die Liebe, das Verständnis, das Sie den oben genannten Menschen entgegenbringen, und vor allem vergeht Ihnen der Humor, mit denen Sie diese Figuren beschreiben. Das liegt vielleicht daran, dass wir uns im Theater zu oft vom Wesentlichen entfernen. Nämlich von den Menschen, die Sie in Ihrem Buch so liebevoll porträtieren und uns in unserem Künstlerwahn dem zuwenden, wozu wir glauben, beauftragt zu sein: Der holden Kunst.

Was habe ich mir nicht alles von Ihnen in Berlin anhören müssen in all den Jahren!

Was haben Sie nicht alles besser gewusst – ohne Lösungen anbieten zu müssen?

In der "Judith von Shimoda" von Bertolt Brecht, die ich im Theater in der Josefstadt inszeniert habe, waren Sie einer der ganz wenigen Kritiker, die mich nicht vermöbelt haben: Da waren Sie mein Dramaturg. Hab’ ich Glück gehabt!

Aber ansonsten ist die Freude am Vermöbeln von uns am Theater oft größer als die Zärtlichkeit und humorvolle Beschreibung der Figuren in Ihrem Buch. Sie vergessen dabei eine Schwierigkeit, Verehrtester: Die von mir oben erwähnten Berufe haben ihr eigenes Leben, ihre eigene Sprache und somit ihre unverwechselbare Identität.

Wenn Ihnen zum Beispiel Frau Elke in Ihrem Kaffeehaus bei der gewünschten Änderung der Beilagen beim Ordern des Mittagsmenüs antwortet: "Is Ihna fad im Schädel, Herr Professor?", so findet das Ihre ganze Sympathie und Zustimmung und verleitet Sie, aus diesen Begebenheiten ein höchst amüsantes und nachdenklich machendes Buch zu schreiben, das man sogar als unterhaltsame Sommerlektüre mit nach Capri nehmen kann – oder meinetwegen auch nach Hinterstoder. Es ist berg- und seetauglich.

Schon die Überschriften der Beiträge über die Kulturpersonen hören sich anders an: "Das Einpersonendrama von Salzburg: Eine Begegnung mit Helmut Berger", "Beim Tanzen ist man dem Tod am nächsten: Der Universalkünstler Einar Schleef" …

Das von Ihnen beschriebene Krawattenmonster möchte Ihnen beim Lesen Ihrer Kritiken – ob Sie nun gut oder schlecht sind für die Betroffenen – auch oft zurufen: "Is Ihna fad im Schädel, Herr Schödel?", hat aber natürlich im gleichen Augenblick Angst davor, dass Sie diese Frage nicht mit einem Buch beantworten, sondern mit einem schallend gelachten "Ja!"

Sehen Sie, und hier finden Sie den Unterschied zwischen Kunst und Kaffeehaus. Mein Gott, Schödel! Was ist denn mit Ihnen passiert? Sie werden doch auf Ihre alten Tage nicht zum Menschen mutieren? Was glauben Sie denn, was Ihre Kollegen im Großfeuilleton über Sie denken? Unterhaltsam, menschlich, humorvoll über Menschen zu schreiben – ja, sind Sie denn bei Trost?

Schla"Wiener"

Und Tiere mögen Sie auch noch! Jetzt wird’s aber langsam wirklich dekadent! Es wird Zeit, dass Sie wieder aufwachen und uns Theaterleuten kräftig in den Arsch treten! Mit der nötigen Infamie, Bösartigkeit und was Ihnen sonst noch alles Gute von Gott gegeben ist. Ich habe mich, ich muss es leider zugeben, gut unterhalten, sehr gelacht, sehr geweint – mit einem Wort: Der Schla"Wiener" Schödel hat mich richtig erwischt. Ich höre bedauerlicherweise, dass Sie auch von berufener Seite für Ihr Buch akklamiert werden, Preise bekommen und was weiß ich noch für Lobhudeleien. Schreiben Sie schnell ein böses Buch! Sonst kommen Sie in Verdacht, dass Kritiker auch nur Menschen sind.

In diesem Sinne: Von Monster zu Monster:
Herzlichst, Ihr Heribert Sasse

Autor und "Wind": Ein Kultur-Reporter erzählt

Das Cover des Buches „Der Wind ist ein Wiener“ von Helmut Schödel zeigt das Wiener Riesenrad.

Helmut Schödel: Geboren wurde er 1950 in Oberfranken. Er studierte Germanistik und Anglistik. 20 Jahre war er Feuilletonist der Wochenzeitung "Die Zeit". Er war dramaturgischer Berater am Wiener Schauspielhaus, führte Regie im Rabenhof, arbeitete als Professor für Dramaturgie am Mozarteum und schreibt seit 1999 für die "Süddeutsche". Helmut Schödel lebt in Wien und München. Vor einer Woche bekam er der angesehen Ben-Witter-Preis.

Das Buch: "Der Wind ist ein Wiener" (Verlag Müry Salzmann, 19 Euro) wurde von zwölf deutschen Literaturkritikern, der "Darmstädter Jury", zum Buch des Monats Mai gewählt. Es sind 23 Reportagen, die von Österreich erzählen. Von einer Hundetherapeutin, einer alten Hure, von Wirtinnen, vom Filmregisseur Peter Kern, vom einstigen Weltstar Helmut Berger ... Zeugnisse einer journalistischen Kultur, die vom Aussterben bedroht ist.

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