Sichere Fahrt mit dem "Orientexpress" - und weitere Kritiken
Das Buch von Agatha Christie ist ein Klassiker, auch die starbesetzte Verfilmung aus 1974 hat Kultstatus erlangt, über das ärgerliche Remake 2017 muss man nicht reden. Keine Frage: Hercule Poirot und somit auch „Mord im Orientexpress“ sind gesellschaftliches Allgemeingut geworden.
Die Kammerspiele der Josefstadt zeigen nun die von Ken Ludwig (klug konzipierte) Bühnenfassung des Krimihits und dürften damit wohl wieder einen Erfolg landen.
Denn Regisseur Werner Sobotka hat in Walter Vogelweiders sehr wandelbarem (Zug-)Bühnenbild und den schön-nostalgischen Kostümen (es gibt auch fein eingesetzte Videos) von Elisabeth Gressel alles richtig gemacht.
Da die Handlung samt Auflösung des Mordfalls als bekannt vorausgesetzt werden darf, konzentriert sich Sobotka ganz auf die Zeichnung der vielen skurrilen Charaktere und verleiht dieser Mörderhatz eine gehörige Dosis Komik. Denn die Darsteller dafür hat Sobotka.
So ist Siegfried Walther ein köstlich-indignierter Poirot mit dem Spürsinn für das gewisse Etwas, so ist Marianne Nentwich eine grandios-noble Prinzessin Dragomiroff. Ein Gustostück liefert auch Ulli Maier als fluchend-lüsterne Mrs. Hubbard ab; exzellent agieren auch Therese Lohner als bigotte Greta, Martin Niedermair, Paul Matić (toll als Mafioso) und Markus Kofler. Alexandra Krismer, Johannes Seilern und Michaela Klamminger als von Poirot angehimmelte Gräfin Andrenyi stehen ihnen um nichts nach. Ein Fest der Schauspieler, das die eigentliche Krimihandlung zweitrangig macht.
Von Peter Jarolin
Musikverein: Bychkov, Capuçon mit Tschaikowsky
Doppelgrifftechnik, Flageoletts, Zweiunddreißigstel-Noten: Die große Solokadenz des einzigen Violinkonzertes von Peter Iljitsch Tschaikowsky ist für jeden Solisten eine extreme technische Herausforderung. Nicht für Renaud Capuçon, der beinahe alle tückischen Klippen mit Bravour und energischer Attacke zu umschiffen wusste.
Nur konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ihm Mühen bereitete. Und zudem blieb der französische Ausnahmegeiger manchmal zu sehr auf der virtuosen Oberfläche, sodass teils ein tieferer, berührender Ausdruck zu kurz kam. Für den Jubel bedankte er sich mit einer Zugabe: von Christoph Willibald Gluck.
Begleitet wurde er dabei einfühlsam von der Tschechischen Philharmonie unter ihrem neuen Chefdirigenten Semyon Bychkov. Das Orchester aus Tschechien unter dem russischen Dirigenten faszinierte aber auch bei der „Pathétique“, so der Beiname der sechsten Symphonie von Tschaikowsky. Hier wurden die tiefe Verzweiflung und all der resignierende Weltschmerz im „Requiem“ des russischen Komponisten, der wenige Tage nach der Uraufführung verstarb, spürbar.
Alle emotionalen Klimazonen wurden mit einem wunderbaren Farbenreichtum und aufwühlender Kraft durchfegt. Mitreißende, große dynamische Spannungsbögen wurden effektvoll aufgebaut, Lyrismen ausgekostet, wobei ausbalanciert und präzise musiziert wurde. Jubel!
Von Helmut Christian Mayer
Musikverein: Der Pianist macht den Unterschied
Mit einem Esprit, wie man ihn nicht oft bei Peter Iljitsch Tschaikowsky hört, hob Semyon Bychkov das erste seiner drei diesem russischen Komponisten gewidmeten Gastspielkonzerte mit der Tschechischen Philharmonie im Wiener Musikverein an. Kein Wunder, sein Partner beim „ersten Klavierkonzert in b-Moll“ war der junge Pianist Kirill Gerstein.
Da zogen Solist und Dirigent an einem Strang. Eines der populärsten Werke der Klavierliteratur wurde in der Originalfassung aufgeführt. Gerstein kommunizierte mit dem Orchester auf Augenhöhe. Seine harten, aber akzentuierten Anschläge passten zu Bychkovs erfrischender Lesart, die jedoch nie die lyrischen Momente überging. Mit wilden Kadenzen spielte er sich wie in einem Parforceritt tadellos ins Kraftzentrum, um dann wieder den Dialog mit den Musikern in fein austarierten Passagen zu suchen.
Seit 2018 steht Bychkov den Tschechen als Chefdirigent vor. Bereits 2015 begann er mit diesem Orchester alle Tschaikowsky-Symphonien auf CD einzuspielen. Und damit erwies er diesem Komponisten einen wichtigen Dienst wie er bei „Manfred“ hören ließ. Theatralisch inszenierte er diese „Symphonie in h-Moll in vier Bildern nach Byron“. Dabei schöpfte er den weichen, samtenen Klang dieses Orchesters in all seinen Facetten aus. Das war Drama pur. Exzellent, die Solisten, vor allem die Holzbläser. Lang anhaltender Applaus.
Von Susanne Zobl
Wiener Staatsoper: Keenlyside, Adés mit Schubert
Es gibt Abende, an denen man sich nach einer „Winterreise“ von Franz Schubert erst langsam in der wirklichen Welt einfinden kann. Diese sind rar, aber das Aufregendste, wovon ein Kritiker berichten kann. Simon Keenlyside ließ einen dieser Abende an der Wiener Staatsoper erleben.
Der britische Bariton machte Fragen, wie jene, ob dieser Liederzyklus einen intimen Rahmen braucht, obsolet. Sein Landsmann, der Komponist Thomas Adés war ihm am Klavier ein interessanter Begleiter, der mit zartem Understatement oder mit bizarren Einleitungen, die an Dekonstruktionen grenzten, verblüffte. Das passte aber irgendwie zur Interpretation dieses Ausnahmesängers.
Der verwandelte die Bühne im Haus am Ring in eine wüste Seelenlandschaft. Das aber geschah erst nach und nach in Schuberts Vertonung der 24 Gedichte von Wilhelm Müller. Nervös, tänzelnd machte er sich feinnervig auf den Weg. Dass sein Bariton aus den Höhen immer wieder ins Raue umschlug, glich er virtuos mit seiner Gestaltungskunst aus.
Beim Liedgesang agierte er in makellosem Deutsch als intensiver Singschauspieler und gewährte Einblicke in tiefste Seelenabgründe. Fulminant changierte er zwischen Wahn und Verzweiflung. Sein Zwiegespräch mit dem Fluss war purste Emotion. Gefasst trat er dem Leiermann gegenüber. Damit führte er das Publikum in eine andere Welt. Ovationen.
Von Susanne Zobl
Komische Oper Berlin: Große Werke, wüste Seelenlandschaft
Von Operettenausgrabungen bis zu Monumentalwerken des 20. Jahrhundert, es gibt kein vergleichbares Haus zur „Komischen Oper Berlin“, das diese Spannweite des musikalischen Spektrums ihrem Publikum anbietet. Der Erfolg kann sich mit 94,6% Auslastung sehen lassen. Dafür verantwortlich ist der australische Intendant und Regisseur Barrie Kosky, der das Haus seit der Saison 2012/13 leitet. Der neue Direktor der Wiener Staatsoper, Bogdan Rošcic, hat bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Kosky angekündigt. Grund genug, sich mit seinen Inszenierungen näher zu beschäftigen.
So zeigte Kosky zuletzt etwa Hans Rudolf Henzes Opus Magnum „The Bassarids“, nach Euripides „Die Backchen“ mit dem Libretto von W.H. Auden und Chester Kallman. Die fast unspielbare Oper, für Berlin eine Novität, hatte 1966 ihre Uraufführung bei den Salzburger Festspielen und wurde dort auch voriges Jahr unter Kent Nagano musikalischer Leitung von Krzystof Warlikowski inszeniert.
Die musikalische Leitung in Berlin hatte nun Vladimir Jurowski, der mit Kosky bereits Schönbergs „Moses und Aaron“ sehr erfolgreich realisierte.
Man betritt den Zuschauerraum der Komischen Oper und ist erstaunt über den gewaltigen, ja monströsen Orchesterapparat. Der Orchestergraben ist übervoll mit Streichern, Schlagzeug und Pauken, auf der rechten Seite des Zuschauerganges stehen Klavier und Celesta, auf der linken Seite das Vibraphon. Auf der Galerie seitlich je zwei Trompeter.
Auf der Bühne, auf dem ein antikes Theater aufgebaut ist, sind Blasinstrumente platziert. Jurowskis Podium wurde erhöht, damit jeder seiner Einsätze bei diesem schwierigen Oeuvre deutlich sichtbar werden.
Die Protagonisten bewegen sich zwischen dem gigantischen Chor und dem Tanzensemble. Der Zuschauerraum wird nicht abgedunkelt. Alle sind Teil des Geschehens um den ewigen Kampf des Menschen zwischen Vernunft, Rausch und Exzess. Obwohl es kein Happy End gibt, ist die Kussszene zwischen Dionysus und Pentheus ein zentraler Bestandteil des Geschehens.
Andere Handschrift
Kosky inszeniert mit voller Schubkraft an Intensität, aber streng arithmetisch. Seine übliche Handschrift ist bei dieser Inszenierung kaum zu erkennen. Keine überdrehten Kostüme, keinerlei Raffinesse mit der Beleuchtung, keine Elemente der Travestie, vielmehr Drama pur im Einheitslicht.
Jede Figur ist bis ins Detail genau analytisch durchdacht. Ein Beweis dafür, wie vielfältig seine Arbeit sein kann. Bewusst überlässt er die Effektgestaltung seinem musikalischen Leiter Vladimir Jurowski und dem Choreografen Otto Pichler, dessen Arbeit Geschmacksache ist. Gesanglich und darstellerisch gebührt besonderes Lob an Sean Panikkar (Dionysus) und Günter Papendell (Pentheus). Das Ensemble ist optimal besetzt. Kosky sorgt für einen anstrengenden, aber spannenden Abend, der nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Von Markus Spiegel
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